Das Epstein-Barr-Virus (EBV), Auslöser des Pfeifferschen Drüsenfiebers, gilt schon lange als ein möglicher Verursacher von Multipler Sklerose (MS). Eine im Januar 2022 veröffentlichte Langzeitstudie scheint diesen Zusammenhang zu untermauern: Sie zeigte, dass mehr als 99 Prozent der Menschen mit MS Antikörper gegen das Virus besitzen. Im Folgenden erfahren Sie, was das Epstein-Barr-Virus ist, warum es im Verdacht steht, Multiple Sklerose auszulösen und ob es eine Möglichkeit gibt, sich zu schützen.

Das Wichtigste in Kürze

  • Das Epstein-Barr-Virus ist Auslöser des Pfeifferschen Drüsenfiebers und wird durch Tröpfcheninfektion übertragen.
  • Es gehört zu den Herpesviren und ist eines der häufigsten Viren auf der Welt.
  • Laut einer Studie der Harvard Universität (erschienen 2022 im Science Magazin) ist das Risiko, an MS zu erkranken, aufgrund einer Infektion mit dem EBV um das 32-fache erhöht.
  • Zur Frage, wie das Epstein-Barr-Virus Multiple Sklerose auslöst, gibt es verschiedene mögliche Antworten, jedoch keine finale Erklärung.
  • Ursächlich für eine MS sei aber nicht das Virus allein, sondern ein Zusammenspiel an verschiedenen Faktoren.

Was ist das Epstein-Barr-Virus?

Das Epstein-Barr-Virus gehört zur Familie der Humanen Herpesviren. Es ist bekannt als Auslöser des Pfeifferschen Drüsenfiebers (infektiöse Mononukleose). Da EBV vor allem durch Tröpfcheninfektionen übertragen wird, bspw. beim Küssen, trägt das Pfeiffersche Drüsenfieber auch die umgangssprachlichen Bezeichnungen „Kusskrankheit“ oder „Studentenfieber“.

EBV gehört zu den häufigsten Viren: Schätzungen zufolge sind weltweit rund 95 Prozent der Menschen damit infiziert. Während EBV-Infektionen in der Kindheit oft symptomlos verlaufen, erkranken vor allem Menschen, die sich erst im Jugend- oder Erwachsenenalter infizieren, häufiger am Pfeifferschen Drüsenfieber. Zu dessen Symptomen zählen u. a. Fieber, Müdigkeit, Kopf-, Glieder- und Halsschmerzen sowie geschwollene Lymphknoten, manchmal auch Schwellungen von Leber und Milz. In der Regel heilt das Pfeiffersche Drüsenfieber nach etwa drei Wochen aus. In seltenen Fällen kann es das chronische Erschöpfungssyndrom (chronic fatigue syndrome, CFS) auslösen. Hier gibt es auch schon einen ersten Überschneidungspunkt mit der Multiplen Sklerose: Denn ein Symptom von MS, die auch als die „Krankheit mit den 1.000 Gesichtern“ bekannt ist, kann ebenfalls Fatigue sein.

Gut zu wissen

Die Epstein-Barr-Viren bleiben, wie alle Herpesviren, ein Leben lang im Körper: Sie nisten sich in den B-Zellen, einer Art der weißen Blutkörperchen, ein. Bei einigen Menschen kann EBV dadurch später schwere Erkrankungen verursachen – darunter Entzündungen der inneren Organe und verschiedene Krebsarten wie das Hodgkin-Lymphom. Zudem vermuten Forscher:innen schon länger einen engen Zusammenhang zwischen dem Epstein-Barr-Virus und der Multiplen Sklerose.

Was spricht für einen Zusammenhang von Epstein-Barr-Virus und Multipler Sklerose?

Dass das Epstein-Barr-Virus aller Wahrscheinlichkeit nach mit dem Auftreten von Multipler Sklerose (MS) in Zusammenhang steht, zeigt eine Studie von Mitarbeiter:innen der Universität Harvard, die im Januar 2022 im Fachmagazin Science erschien. Für diese Studie standen den Forscher:innen rund 62 Millionen Blutproben von mehr als zehn Millionen Angehörigen des US-Militärs aus den Jahren 1993 bis 2013 zur Verfügung. Die Proben stammten aus verpflichtenden, regelmäßigen HIV-Tests.

Von den rund zehn Millionen untersuchten Militärangehörigen erkrankten insgesamt 955 an Multipler Sklerose. Bei 801 dieser Betroffenen ließ sich anhand der verfügbaren Blutproben nachvollziehen, ob sie vor ihrer MS-Diagnose eine EBV-Infektion durchgemacht hatten. Dabei zeigte sich: Bei 800 der 801 MS-Betroffenen waren spätestens in der letzten Blutprobe vor der MS-Diagnose Antikörper gegen das Epstein-Barr-Virus nachweisbar. Das entspricht einer Häufigkeit von 99,875 Prozent – deutlich mehr als die EBV-Rate von rund 95 Prozent in der Gesamtbevölkerung. Zumal nicht auszuschließen ist, dass die einzige EBV-negative Person, die an MS erkrankte, sich noch nach Entnahme der letzten Blutprobe mit dem Virus infizierte. Damit zeigt die Studie, dass eine MS-Erkrankung ohne vorausgegangene EBV-Infektion zumindest sehr selten, wenn nicht sogar ausgeschlossen ist.

Insgesamt, so die Forscher:innen, zeigt die Studie einen 32-fachen Anstieg des Multiple Sklerose-Risikos durch eine Epstein-Barr-Virus-Infektion. Zum Vergleich: Der bis dato stärkste bekannte Zusammenhang bestand darin, dass eine bestimmte Veränderung des Gens HLA-DR15 das MS-Risiko um das Dreifache erhöht.

Auf welche Weise könnte das Epstein-Barr-Virus Multiple Sklerose auslösen?

Während die oben beschriebene Studie den schon lange vermuteten Zusammenhang zwischen Multipler Sklerose und dem Epstein-Barr-Virus stützt, erlaubt sie keine Rückschlüsse darauf, wie genau EBV am Entstehen von MS beteiligt ist. Doch auch zu dieser Frage haben Forscher:innen bereits Hypothesen aufgestellt, die es in weiteren Forschungen zu untersuchen gilt.

Ein Beispiel für einen solchen Erklärungsansatz liefert eine im Februar 2022 im Magazin Nature veröffentlichte Studie zum Phänomen der molekularen Mimikry (Tarnung von Mikroorganismen) im Zusammenhang mit EBV und MS. Die Autor:innen dieser Studie konnten zeigen, dass die strukturelle Ähnlichkeit zwischen einem Bestandteil des Epstein-Barr-Virus und einem im Zentralnervensystem (ZNS) vorkommenden Protein dazu führen kann, dass das Immunsystem diese beiden Substanzen „verwechselt“. Genauer gesagt, lernt das Immunsystem bei einer EBV-Infektion, den für EBV spezifischen Transkriptionsfaktor EBNA-1 zu erkennen, der an der Vervielfältigung des Virus beteiligt ist. EBNA-1 weist jedoch eine gewisse Ähnlichkeit zum Protein GlialCAM (glial cell adhesion molecule) auf, das in bestimmten Nervenzellen im ZNS vorkommt. Möglicherweise greifen bei einigen Menschen die EBNA-1-Antikörper, die das Immunsystem nach einer EBV-Infektion bildet, fälschlicherweise die GlialCAM-Proteine an und verursachen so Schäden an Gehirn und Rückenmark, welche die für MS typischen Symptome auslösen.

Fortlaufende Forschung

Zu beachten ist jedoch, dass dies lediglich ein Erklärungsansatz von vielen ist. Wie genau eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus zu einer Multiple Sklerose-Erkrankung beiträgt, muss weiter erforscht werden.

Dr. Kai Wohlfahrt, Chefarzt der Neurologie am BG Klinikum Bergmannstrost Halle sagt:

Es gibt eine sehr hohe Durchseuchungsrate mit dem Epstein-Barr-Virus. Also allein das Virus anzuschuldigen, wäre nicht korrekt. Eher ist es ein Baustein bei der Entstehung einer Multiplen Sklerose. […] Bei einer multifaktoriellen Erkrankung muss dann alles zusammenpassen, bevor es tatsächlich zum Erkrankungsschub oder zum Erkrankungsstart kommt.

Im September 2022 wurde im Journal of Experimental Medicine die Studie eines Forschungsteams um Prof. Nicholas Schwab veröffentlicht.

Prof. Heinz Wiendl, Direktor der Uniklinik für Neurologie in Münster:

Unsere Studie legt nahe: T-Zellen, die bei MS ins Gehirn einwandern, sind möglicherweise auf der Suche nach aktiven EBV-Herden. Stimmt das, müssten nicht nur im Nervenwasser, sondern auch im Gehirn von MS-Patienten vermehrt EBV-spezifische T-Zellen zu finden sein

Um diese Frage zu beantworten sind weitere Analysen notwendig.
Sollte sich die Vermutung der Wissenschaftler:innen bestätigen, so wäre dies ein bahnbrechender Erfolg im Kampf gegen Multiple Sklerose.

Warum ist EBV wahrscheinlich nicht der alleinige Auslöser von MS?

Obwohl die aktuellen Studien auf dem Gebiet einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Epstein-Barr-Virus und Multipler Sklerose nahelegen, verursacht das Epstein-Barr-Virus allein wohl noch keine MS. Vielmehr gehen Wissenschaftler:innen davon aus, dass erst ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren eine MS auslöst.

Neben genetischen Komponenten, scheinen auch Umweltfaktoren wie etwa Rauchen, ein Vitamin-D-Mangel und Übergewicht eine Rolle zu spielen. Für keinen dieser Faktoren ist der Zusammenhang jedoch so stark wie zwischen EBV und MS.

Könnte eine EBV-Impfung in Zukunft vor MS schützen?

Falls zukünftige Studien den Zusammenhang zwischen Epstein-Barr-Virus und Multiple Sklerose unterstützen, ist es denkbar, dass eine Impfung gegen EBV auch vor Multipler Sklerose schützen könnte. Erste Impfstoffe befinden sich bereits in der Entwicklung und würden neben MS auch Einfluss auf weitere Erkrankungen haben, deren Entstehung in Zusammenhang mit Pfeifferschem Drüsenfieber gebracht werden.

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