Eine Multiple Sklerose (MS) zu diagnostizieren, ist kein einfaches Unterfangen. Es müssen eine Reihe von Befunden vorliegen und erst wenn sich daraus ein typisches Bild ergibt, kann die Ärztin oder der Arzt eine MS-Diagnose stellen. Als Basis für die Diagnose dienen die sogenannten McDonald-Kriterien für Multiple Sklerose, benannt nach einem ihrer Erfinder. Sie wurden bereits mehrmals überarbeitet, zuletzt im Jahr 2017. Seither lässt sich eine MS-Diagnose deutlich schneller und einfacher stellen. Hier erklären wir leicht verständlich, was genau man unter den McDonald-Kriterien für MS versteht und was sie in der Praxis bedeuten.

Das Wichtigste in Kürze

  • Anhand der McDonald-Kriterien kann die Diagnose Multiple Sklerose zuverlässig gestellt werden.
  • Zur Abgrenzung von anderen Erkrankungen muss eine räumliche und zeitliche Verteilung (Dissemination) der Entzündungen nachgewiesen werden.
  • Der Nachweis erfolgt durch ein ausführliches Anamnesegespräch sowie neurologische und allgemeinmedizinische Untersuchungen (MRT, Lumbalpunktion, Blutuntersuchung, Nervenleitfähigkeits-Messung).
  • Die McDonald-Kriterien wurden im Jahr 2017 überarbeitet, sodass die Diagnosestellung im Schnitt nun nicht nach 7,4, sondern schon nach 2,3 Monaten erfolgen kann.
  • Dank der schnelleren Diagnosestellung auf Basis der McDonald-Kriterien kann auch eher mit der entsprechenden Therapie begonnen werden.

Was versteht man unter den McDonald-Kriterien für Multiple Sklerose?

Die McDonald-Kriterien für Multiple Sklerose sind international anerkannte Kriterien für die Diagnose oder den Ausschluss einer MS. Bei der Multiplen Sklerose handelt es sich um eine chronisch-entzündliche Erkrankung, die über einen längeren Zeitraum hinweg mehrere Bereiche (multipel = mehrfach) des Zentralnervensystems schädigt. Bei der Diagnose der Erkrankung muss daher nachgewiesen werden, dass

  • die Entzündungen räumlich verteilt auftreten, d. h. in verschiedenen Bereichen des Zentralnervensystems, und

  • dass sie zeitlich verteilt auftreten, d. h., dass im Zeitverlauf mehrmals Entzündungen entstanden sind.

In der medizinischen Fachsprache ist auch von „räumlicher und zeitlicher Dissemination“ (Dissemination = Verteilung, Verbreitung) die Rede.

Die McDonald-Kriterien liefern nun eine Definition, wann eine solche räumliche und zeitliche Dissemination gegeben ist. Je nachdem, welcher konkrete Ausgangsbefund vorliegt, sind dazu verschiedene medizinische Nachweise zu erbringen. Dabei spielen bildgebende Verfahren (MRT-Untersuchungen) eine zentrale Rolle.

Wie funktioniert die Anwendung der McDonald-Kriterien in der Praxis?

Konkret läuft das meist so ab: Eine Person stellt sich aufgrund bestimmter Beschwerden, die auf MS hindeuten könnten, in einer neurologischen Praxis vor. Dabei könnte es sich beispielsweise um ein einseitiges Taubheitsgefühl handeln. Die Ärztin oder der Arzt wird zunächst in einem gründlichen Anamnesegespräch nach den aktuellen Beschwerden und der bisherigen Krankengeschichte fragen.

Daran schließen sich verschiedene neurologische und allgemeinmedizinische Untersuchungen an. In der Regel kommen bei einem Verdacht auf Multiple Sklerose folgende Untersuchungen zum Einsatz:

  • eine Magnetresonanztomographie (MRT) von Gehirn und Rückenmark, um Entzündungsherde (Läsionen) sichtbar zu machen

  • eine Lumbalpunktion zur Entnahme von Nervenwasser (Liquor), um bestimmte Abwehrstoffe (Antikörper) nachzuweisen, die für Multiple Sklerose typisch sind

  • eine Blutuntersuchung, um andere Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen auszuschließen

  • eventuell eine Nervenleitfähigkeits-Messung, auch „Test auf evozierte Potentiale“ genannt, um Hinweise auf bereits bestehende Nervenschäden zu gewinnen

Sobald alle Untersuchungsergebnisse vorliegen, wird die Ärztin oder der Arzt anhand der McDonald-Kriterien prüfen, ob die für Multiple Sklerose typische räumliche und zeitliche Verteilung gegeben ist. Dabei werden sowohl die Ergebnisse der Untersuchungen als auch die klinischen Befunde, also die von Betroffenen berichteten Beschwerden, berücksichtigt.

Nachweis der räumlichen Dissemination

Die Verteilung im Raum (räumliche Dissemination) ist nach der Definition der McDonald-Kriterien für Multiple Sklerose in diesen zwei Fällen erwiesen:

  • MRT-gestützter Nachweis: Im MRT zeigen sich Entzündungsherde (Läsionen) in mindestens zwei von vier verschiedenen Regionen des Zentralnervensystems:

    • im Bereich der Hirnrinde oder an der Grenze zur Hirnrinde (kortikal oder juxtakortikal)
    • an die sogenannten Seitenventrikel angrenzend (periventrikulär)
    • im Bereich von Kleinhirn und Hirnstamm (infratentoriell)
    • im Rückenmark (spinal)
  • Klinischer Nachweis: Die Person berichtet über Beschwerden in mehreren Körperregionen, die von unterschiedlichen Bereichen des Zentralnervensystems gesteuert werden. Zusätzlich zu einer Gefühlsstörung könnte beispielsweise eine Sehstörung auftreten.

Nachweis der zeitlichen Dissemination

Der Nachweis einer zeitlichen Dissemination ist nach den aktuellen McDonald-Kriterien für MS erbracht, wenn einer der folgenden Punkte zutrifft:

  • MRT-gestützter Nachweis mit Kontrastmittel: Durch die Gabe eines Kontrastmittels erhält man bei MRT-Untersuchungen Hinweise auf den zeitlichen Verlauf der Erkrankung. Denn nur akut entzündlich aktive Läsionen nehmen Kontrastmittel auf, während ältere Läsionen das nicht tun. Wenn in den MRT-Bildern daher sowohl Kontrastmittel aufnehmende Läsionen sichtbar werden als auch solche, die kein Kontrastmittel aufnehmen, dann müssen diese Entzündungsherde zu unterschiedlichen Zeitpunkten entstanden sein.

  • MRT-gestützter Nachweis durch Folgeaufnahmen: Alternativ ist die zeitliche Dissemination gemäß den McDonald-Kriterien auch dann erwiesen, wenn in einer zweiten MRT-Aufnahme zu einem späteren Zeitpunkt neue Entzündungsherde (Läsionen) auftauchen.

  • Nachweis im Liquor (Nervenwasser): Der Liquor ist eine Flüssigkeit, die Gehirn und Rückenmark umgibt. Bei einer Multiplen Sklerose sind normalerweise bestimmte Abwehrstoffe (Antikörper) im Liquor nachweisbar. Mediziner:innen sprechen hier von sogenannten „oligoklonalen Banden“ oder kurz „OKB“. Ein Nachweis von OKB im Liquor ist ein Hinweis auf chronische, d. h. länger andauernde, Autoimmun-Prozesse im Zentralnervensystem.

  • Klinischer Nachweis: Die zeitliche Dissemination ist auch dann erwiesen, wenn Betroffene mindestens zwei Krankheitsschübe erlitten haben oder wenn – im Fall der chronisch fortschreitenden Verlaufsform – die Beschwerden über mindestens ein Jahr kontinuierlich zunehmen.

Wann liegt laut McDonald-Kriterien eine Multiple Sklerose vor?

Wieder zurück in der Praxis: In welchen Fällen wird die Ärztin oder der Arzt nun konkret eine MS-Diagnose stellen? Je nach Verlaufsform sind dazu unterschiedliche Nachweise nötig:

Schubförmig remittierende Verlaufsform

In der Regel stellt sich der oder die Betroffene nach dem mutmaßlich ersten Schubereignis in der ärztlichen Praxis vor. Eine MS-Diagnose ist nach den aktuellen McDonald-Kriterien bereits nach dem ersten Schub möglich, wenn:

  • im MRT Entzündungsherde (Läsionen) in mindestens zwei Bereichen von Gehirn und Rückenmark vorliegen (= räumliche Dissemination), oder

  • klinische Symptome in mindestens zwei verschiedenen Körperbereichen auftreten (= räumliche Dissemination), und

  • im Nervenwasser oligoklonale Banden (OKB) nachweisbar sind (= zeitliche Dissemination).

Wenn entweder die räumliche oder die zeitliche Verteilung nicht sicher nachweisbar ist, besteht erst einmal nur der Verdacht auf MS. Der Arzt oder die Ärztin wird dann zu einem späteren Zeitpunkt eine Kontrolluntersuchung vornehmen und erneut prüfen, ob nach den McDonald-Kriterien eine MS-Diagnose gestellt werden kann – etwa weil neue Läsionen im MRT aufgetaucht sind.

Multiple Sklerose-Diagnose nach McDonald: Primär progrediente Verlaufsform

Die primär progrediente, also von Beginn an kontinuierlich fortschreitende Verlaufsform der Multiplen Sklerose kann nach den McDonald-Kriterien nicht sofort nach Beginn der ersten Beschwerden diagnostiziert werden. Denn Voraussetzung ist, dass eine Person mindestens ein Jahr lang zunehmende Beschwerden erlebt, die für MS typisch sind. Außerdem müssen mindestens zwei der folgenden drei Punkte erfüllt sein:

  • mindestens ein Entzündungsherd (Läsion) in einer für MS typischen Hirnregion

  • mindestens zwei Läsionen im Rückenmark

  • Nachweis MS-typischer Antikörper (oligoklonale Banden) im Liquor

Multiple Sklerose-Diagnose nach McDonald: Sekundär progrediente Verlaufsform

Die sekundär progrediente Verlaufsform der Multiplen Sklerose ist durch die McDonald-Kriterien leider nicht ganz klar definiert. Üblicherweise sagt man: Die sekundär progrediente MS baut auf der gesicherten Diagnose einer schubförmig remittierenden MS auf. Zusätzlich müssen über mindestens sechs bis zwölf Monate kontinuierlich zunehmende Beschwerden unabhängig von den Schüben vorliegen.

Neben Sportarten wie Yoga, Aquasport, Radfahren und Tanzen können auch ganzheitliche Therapieansätze wie stressreduzierende Maßnahmen (z. B. Achtsamkeitsübungen) und eine gesunde Ernährung zur Symptommilderung beitragen.

Welche Vorteile hat die Überarbeitung der McDonald-Kriterien 2017 gebracht?

Die McDonald-Kriterien für Multiple Sklerose wurden im Jahr 2001 erstmals eingeführt und seither mehrfach revidiert, um wissenschaftlichen und medizintechnischen Fortschritten Rechnung zu tragen. Zuletzt hat ein internationales Gremium die McDonald-Kriterien im Jahr 2017 überarbeitet.

Eine für die Praxis wichtige Änderung war dabei die Aufwertung der Liquoranalyse: Früher waren zur Beurteilung der zeitlichen Dissemination nur klinische Befunde oder MRT-Befunde zulässig, die nach dem ersten Schub aber oft noch keine eindeutigen Nachweise liefern. Betroffene mussten dann nicht selten auf eine Folgeuntersuchung oder gar auf einen zweiten Schub warten, bevor sie eine gesicherte Diagnose erhielten. Nach den aktualisierten McDonald-Kriterien für Multiple Sklerose zählt auch der Nachweis von oligoklonalen Banden im Nervenwasser (Liquor). Dadurch ist es viel häufiger möglich, direkt nach dem ersten Schub eine MS-Diagnose zu stellen.

Beschleunigte Diagnose

Wie eine aktuelle Vergleichsstudie zeigt, erlauben die überarbeiteten McDonald-Kriterien eine deutlich schnellere Diagnose der Multiplen Sklerose: Während es nach den „alten“ Kriterien im Schnitt 7,4 Monate gedauert hat, bis eine endgültige Diagnose vorlag, beträgt die Dauer bis zur Diagnose mit den „neuen“ McDonald-Kriterien aus 2017 nur noch durchschnittlich 2,3 Monate. In vielen Fällen erhalten Betroffene ihre Diagnose bereits unmittelbar nach dem ersten Schubereignis.

Dass die Multiple Sklerose dank der neuen McDonald-Kriterien deutlich schneller diagnostiziert werden kann, bringt zwei große Vorteile mit sich: Erstens haben Betroffene früher Klarheit, ob sie nun an MS leiden oder nicht. Und zweitens erlaubt eine frühzeitige Diagnosestellung, möglichst schnell die erforderliche Therapie einzuleiten. Wie man heute weiß, kann ein rechtzeitiger Therapiebeginn den langfristigen Krankheitsverlauf der Multiplen Sklerose entscheidend verbessern.

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  • https://www.fokus-ms.de/ms-wissen/diagnostik-verlaufskontrolle

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