Am 29. Juni 2023 wurde die Nationale Versorgungs LeitlinieHypertonie (NVL) veröffentlicht, während die Leitlinie der European Society of Hypertension (ESH) bereits am 21. Juni 2023 erschienen ist. Diese beiden neuen Leitlinien sollen dazu beitragen, die Versorgung von Patient:innen mit Bluthochdruck zu verbessern und eine einheitliche Behandlungsstrategie zu etablieren. Im folgenden Artikel geben wir einen detaillierten Überblick über die wichtigsten Neuerungen der aktualisierten Bluthochdruck-Leitlinien 2023.

Bluthochdruck-Leitlinien 2023: Neuerungen auf europäischer und nationaler Ebene

Bluthochdruck, auch als Hypertonie bezeichnet, ist eine weit verbreitete Erkrankung, die mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbunden ist. Unbehandelter und dauerhaft erhöhter Blutdruck, erhöht das Risiko von Herzerkrankungen, Schlaganfällen und anderen schwerwiegenden gesundheitlichen Komplikationen. Medizinische Leitlinien werden von Fachgremien entwickelt und herausgegeben, um einheitliche Behandlungsstrategien, wie beispielsweise Zielvorgaben zur Blutdrucksenkung, oder einen Algorithmus der Arzneimitteltherapie, allen Ärtz:innen und Angehörigen der Gesundheitsberufe frei zur Verfügung zu stellen. Die Behandlungsrichtlinien leisten einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Patientenversorgung.

Leitlinien werden alle paar Jahre aktualisiert, um neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Entwicklungen zu berücksichtigen. Ende Juni 2023 wurden sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene neue Bluthochdruck-Leitlinien für die Behandlung veröffentlicht, die die bisherigen Leitlinien aus den vorherigen Jahren ersetzen.

Die Europäische Gesellschaft für Hypertonie stellte auf ihrem 32. Kongress in Mailand die aktualisierte Leitlinie vor, welche die vorherige Version aus dem Jahr 2018 ablöste. Die Leitlinie beinhaltet eine vereinfachte Blutdruckwert-Zieldefinition, eine Erweiterung der Hypertonie-Klassifizierung, die Identifizierung neuer Risikofaktoren und geschlechtsspezifische Unterschiede. Die Richtlinien geben detaillierte Empfehlungen für die Behandlung von Bluthochdruck und stellen sicher, dass Fachleute, die sich intensiv mit der Erkrankung befassen, über aktuelle und umfassende Informationen verfügen.

Kurz nach der Veröffentlichung der ESH-Leitlinien, am 29. Juni 2023, wurde erstmalig eine Nationale VersorgungsLeitlinie (NVL) für Bluthochdruck publiziert. Die Nationalen VersorgungsLeitlinien geben die diagnostischen und therapeutischen Grundlagen für die allgemeine medizinische Versorgung in Deutschland vor – so auch für die Behandlung von Bluthochdruck. Sie bieten eine praxisnahe Anleitung für die Behandlung von Patient:innen mit Hypertonie.

Bluthochdruck-Leitlinien 2023: Aktuelle Entwicklungen und Empfehlungen

Einheitlicher Zielwert zur Blutdrucksenkung

Eine der bedeutendsten Änderungen betrifft die vereinfachte Vorgabe des Blutdruck-Zielwertes. In der bisher geltenden Hypertonie-Leitlinie der ESH und der NVL wurden die Zielwerte zur Senkung des Blutdrucks individuell unter Berücksichtigung des Alters und möglicher Vorerkrankungen festgelegt. Nach den neuen nationalen Versorgungsleitlinien wird allerdings nun empfohlen, dass jeder Patient oder jede Patientin auf einen Blutdruckwert unter 140/90 mmHg eingestellt werden sollte. In diesem Beitrag erhalten Sie einen Überblick über die Erkrankung Bluthochdruck.

Einteilung der Bluthochdruckstadien unter Berücksichtigung von Endorganschäden

Mit den neuen ESH-Leitlinien wird eine erweiterte Klassifizierung der Hypertonie-Stadien eingeführt. Die neue Klassifizierung definiert, je nach Vorhandensein und Ausmaß von bluthochdruckbedingten Endorganschäden, drei Stadien. Somit unterscheidet sich diese Klassifizierung von der Einstufung der Hypertonie-Schweregrade nach absoluten Blutdruckwerten.

  • Stadium 1: Ein unkomplizierter Bluthochdruck, ohne Hinweise auf Organschäden.
  • Stadium 2: Bluthochdruck bei Vorhandensein von leichten Organschäden. Beispielhaft ist der Beginn einer chronischen Nierenerkrankung oder eine Kombination aus Bluthochdruck und Diabetes mellitus.

  • Stadium 3: Hypertonie mit bestehenden bluthochdruckbedingten Herz- und/oder Gefäßerkrankungen oder mit einer fortgeschrittenen chronischen Nierenerkrankung.

Die Stadieneinteilung ist nicht neu, sondern ist indirekt in den Risikokalkulatoren der SCORE-Tabellen zur Abschätzung des 10-Jahres-Risikos für eine tödliche Herz-Kreislauf-Erkrankung zu finden. Durch die Darstellung in Form der neuen Klassifikation, rücken die Bedeutung der Erkrankung Hypertonie und das Auftreten von bluthochdruckbedingten Folgeschäden stärker in den Vordergrund. Denn viele Menschen sind sich immer noch nicht bewusst, dass Bluthochdruck eine ernstzunehmende Erkrankung mit schwerwiegenden Folgen sein kann. Die klare Hervorhebung soll mehr Menschen die Bedeutung der Erkrankung bewusst machen und dazu beitragen, dass frühzeitig Maßnahmen ergriffen werden, um bluthochdruckbedingten Folgeschäden vorzubeugen. Einen ausführlichen Artikel über die Therapie von Bluthochdruck finden Sie hier.

Identifikation neuer Risikofaktoren für kardiovaskuläre Ereignisse

In den ESH-Leitlinien wurden zusätzliche Risikofaktoren aufgenommen, die das Risiko für kardiovaskuläre (Herz-Kreislauf betreffende) Ereignisse bei Menschen mit vorbestehendem Bluthochdruck erhöhen können. Die Kenntnis dieser Risikofaktoren spielt eine wichtige Rolle bei der Prävention möglicher kardiovaskulärer Ereignisse.

Zu diesen neuen Risikofaktoren gehören Schlafstörungen, chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD), chronische Entzündungskrankheiten, nichtalkoholische Fettleber (NAFL), chronische Infektionen einschließlich long COVID-19-Infektionen (anhaltende oder langfristige Symptome, die bei manchen Menschen nach einer COVID-19-Infektion auftreten können), Stress, Migräne und Depressionen sowie Schlafapnoe (eine Schlafstörung, bei der man nachts wiederholt aufwacht, wenn die Atmung für kurze Zeit aussetzt). Darüber hinaus werden auch Risikofaktoren wie Migrationshintergrund, erhöhte Luftverschmutzung und Lärmbelastung diskutiert. Auch die geschlechtsangleichende Hormontherapie gilt als neuer Risikofaktor für kardiovaskuläre Ereignisse.

Gut zu wissen

Die Berücksichtigung dieser neuen Risikofaktoren ist wichtig, da sie dazu beitragen können, das individuelle Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen zu verstehen und geeignete Präventionsmaßnahmen zu ergreifen. Daher ist es wichtig, dass die betroffenen Personengruppen regelmäßig untersucht werden und dass eine umfassende Aufklärung über die relevanten Risikofaktoren beim Vorliegen eines Bluthochdrucks erfolgt. Besonders wichtig ist es, zu erfahren, welche Risikofaktoren proaktiv beeinflusst werden können und welche individuellen Präventionsmaßnahmen sich daraus ableiten lassen.

Geschlechterspezifische Unterschiede in der Epidemiologie

Die neuen Leitlinien der ESH berücksichtigen geschlechterspezifische Unterschiede in der Entwicklung und Behandlung von Bluthochdruck. Männer und Frauen sind unterschiedlich stark von Bluthochdruck betroffen. Im Jahr 2019 lag die weltweite altersspezifische Prävalenz von Bluthochdruck, gemessen an der Einnahme von Medikamenten zur Behandlung bei 32 % der Frauen und 34 % der Männer. Männer haben also tendenziell häufiger Bluthochdruck als Frauen. Die Häufigkeit von Bluthochdruck nimmt jedoch bei beiden Geschlechtern mit dem Alter zu. Vor dem Klimakterium („Wechseljahre“) ist der Blutdruck bei Frauen in der Regel niedriger als bei Männern. Nach der Menopause (letzte Monatsblutung) steigt allerdings der Blutdruck bei Frauen deutlich an, so dass ab einem Alter von 65 Jahren mehr Frauen als Männer an Bluthochdruck leiden.

Geschlechterspezifische Unterschiede in der Pathophysiologie

Die aktualisierten ESH Leitlinien befassen sich auch mit der Pathophysiologie, welche der medizinische Fachbegriff für den Bereich der Erkrankungslehre ist, der untersucht, wie Krankheiten beispielsweise durch Fehlfunktionen oder fehlgesteuerte Signalwege im Organismus entstehen. Dadurch lassen sich möglicherweise therapeutische Angriffspunkte ableiten. Die weiblichen Sexualhormone haben einen positiven Einfluss auf die Gefäßfunktion und dadurch auch auf den Blutdruck. Bereits in den Wechseljahren sinkt u.a. der Östrogenspiegel, weil die weiblichen Geschlechtsorgane ihre Funktion nach und nach einstellen. Die Folge ist, dass das Risiko für Bluthochdruck entsprechend ansteigt. Generell gilt, dass bei Männern als auch bei Frauen hormonelle Ungleichgewichte das Risiko für Bluthochdruck erhöhen können. Gegen Beschwerden in den Wechseljahren kann eine Hormonersatztherapie indiziert sein, allerdings gibt es keine Belege dafür, dass diese Auswirkungen auf den Blutdruck oder das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen hat.

Fazit: Ein bedeutender Fortschritt in der Versorgung

Die neuen Leitlinien zur Behandlung der Hypertonie haben das Hauptziel, die Versorgung von Patient:innen mit Bluthochdruck zu verbessern. Mit einer einheitlichen Zielwertdefinition, der Berücksichtigung von Endorganschäden, der Identifikation neuer Risikofaktoren und die geschlechtsspezifischen Betrachtungen tragen dazu bei, die  Behandlung der Hypertonie nach den aktuellen medizinischen Erkenntnissen zu gewährleisten.

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