Jede:r Zweite von uns ist chronisch krank. Sprechen wir darüber. In insgesamt 11 Podcastfolgen geht es um die große Volkskrankheit Diabetes. Wir führen Sie durch jede Phase der Krankheit, damit Sie immer gut informiert sind und heute geht es in Folge neun um Diabetes Typ 1 im Kindesalter. Willkommen beim Podcast Chronisch Mensch. 

 

Heike Bartelt                                                      

Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, Diabetologin DDG / Leiterin AG Diabetes, Universitätsklinikum Leipzig AöR, Klinik und Poliklinik für Kinder und Jugendliche in Leipzig

         

Transkript der Folge Diabetes Typ 1 bei Kindern

Mario D. Richardt: Für das Thema Diabetes Typ 1 im Kindesalter ist diesmal eine Kinderärztin zu Gast, die auch Diabetologin und Leiterin der AG Diabetes ist. Heike Bartelt, schönen guten Tag. 

Heike Bartelt: Hallo.  

Mario D. Richardt: Wie viele Kinder sind denn in Deutschland vom Typ 1 Diabetes betroffen? 

Heike Bartelt: Tatsächlich sind es momentan so ungefähr 32.000 Kinder, die in Deutschland Typ 1 Diabetes haben. 

Mario D. Richardt: Das ist eine Menge.  

Heike Bartelt: Ja.  

Mario D. Richardt: Das heißt, Ihre Praxis ist auch voll? 

Heike Bartelt: Ja, wir betreuen hier aktuell in unserer Ambulanz über 400 Kinder.  

Mario D. Richardt: Ist das mehr geworden in den letzten Jahren? 

Heike Bartelt: Deutlich.  

Mario D. Richardt: Ist denn das Auftreten der Erkrankung an ein Alter gebunden oder kann das auch in jedem Lebensjahr passieren?  

Heike Bartelt: Prinzipiell kann man Typ 1 Diabetes auch als kleines Kind in jedem Alter bekommen, wir sehen aber typische Gipfel, in denen die Häufigkeit der Manifestation im Vergleich zu anderen Altern zunimmt. Bei Kindern, also davon rede ich immer bis zum 18. Lebensjahr, das sind die Kinder, die wir hier betreuen, sehen wir so einen typischen Altersgipfel zwischen dem 10. und 14. Lebensjahr. Und es sind kleinere Kinder, so zwischen drei und sechs, bei denen sich, im Vergleich zu den anderen, etwas häufiger sich der Diabetes in diesem Alter manifestiert.  

Mario D. Richardt: Aber könnte das auch theoretisch im Säuglingsalter schon auftreten oder dass Kinder mit Diabetes Typ 1 geboren werden? 

Heike Bartelt: Mit Typ 1 Diabetes kann man nicht geboren werden, aber tatsächlich gibt es Diabetesformen, mit denen man geboren wird. Das sind sogenannte neonatale Diabetesformen, die sich aber unterscheiden in der Ursache ihrer Entstehung im Vergleich zum Typ 1 Diabetes.  

Mario D. Richardt: Welche Anzeichen gibt es denn? Also wie erkenne ich, dass mein Kind Diabetes haben könnte?  

Heike Bartelt: Das ist gar nicht so einfach, weil es keine großen, schweren Symptome gibt. Das Kind hat kein Fieber oder keinen Ausschlag, sondern es zeigt sich im Laufe der Zeit, dass das Kind zum Beispiel immer mehr anfängt zu trinken, dass es ein größeres Durstgefühl entwickelt und das finden viele Eltern am Anfang gar nicht so schlimm, sie freuen sich eher, weil viele Kinder schlecht trinken. Man muss denen hinterherlaufen, sie anleiten zum Trinken und dann freuen sich viele Eltern, wenn das Kind plötzlich von alleine mehr trinkt. Das wird aber irgendwann ein Ausmaß, das tatsächlich auffällig ist, weil es auch bei größeren Kindern bis zu mehrere Liter am Tag sein können und Kinder zum Beispiel auch nachts plötzlich Durst bekommen. So sehr, dass sie wach werden und nach Trinken verlangen und im Umkehrschluss dann natürlich auch deutlich häufiger auf Toilette müssen. Das heißt, dass auch Kinder nachts plötzlich aufstehen müssen, um auf Toilette zu gehen und manchmal auch den Weg zur Toilette gar nicht mehr schaffen, also tatsächlich zum Beispiel ins Bett pullern. Dann kommt dazu, dass die Kinder nicht mehr so leistungsfähig sind wie früher, die sind schlapper, die sind müder oder schneller erschöpft. Das äußert sich dann zum Beispiel darin, dass plötzlich wieder ein Mittagsschlaf notwendig ist für ein Kind, was aus der Grundschule nach Hause kommt, früher kein Mittagsschlaf mehr hatte und den plötzlich einfordert. Oder dass in den fünften Stock, in die Wohnung nicht mehr hintereinander weggelaufen werden kann, sondern das Kind eine Pause verlangt. Das kann sich im Sportunterricht zeigen, aber auch tatsächlich schon in der täglichen Leistung und in der Schule, indem die Kinder tatsächlich einfach erschöpfter sind und nicht mehr ihre Leistung bringen. Und dann zeigt es sich letztendlich tatsächlich auch in dem Gewichtsverlust, der am Anfang sehr schleichend ist und vielleicht auch gar nicht immer so wahrgenommen wird. Aber tatsächlich ist die Summe aus diesen Symptomen sehr klassisch für die Manifestation von einem Typ 1 Diabetes. Wenn man mit dieser Summe zum Kinderarzt kommt und seinem Kinderarzt das berichtet, dann denkt der sofort an den Typ 1 Diabetes. Die Kunst ist aber das wahrzunehmen, bei seinem Kind. Wenn das Kind den ganzen Tag im Kindergarten oder in der Schule ist, dann weiß ich nicht, wie viel es denn getrunken hat. Wenn mir das nicht ein aufmerksamer Erzieher erzählt und, wenn ein Kind am Abendbrottisch dann mal mehr trinkt, dann freut man sich letztendlich oder denkt, es hat heute tagsüber vielleicht zu wenig getrunken. Und dass ein Kind auch noch mal nachts auf Toilette pullern muss, ist erst mal nichts Ungewöhnliches. Wenn die Kinder größer sind, kriegt man das zum Teil ja gar nicht mehr mit. Auch tatsächlich, dass ein Kind vielleicht mal nicht so leistungsfähig ist, kann man mit einem Infekt oder mit Stress in Verbindung bringen und dass es abnimmt, ist auch erst ab einer gewissen Masse oder Menge tatsächlich ersichtlich.  

Mario D. Richardt: Die Frage ist ja, ab wann man dann sozusagen die Alarmglocken schrillen lässt, als Eltern. Also ist das schon nach zwei Wochen, wenn ich merke, sie hat jetzt aber hier ordentlich getrunken die Woche oder ist das eher so ein Prozess, der sich dann über Monate erst bemerkbar macht?  

Heike Bartelt: Das ist recht unterschiedlich, weil das tatsächlich auch bei den Patienten unterschiedlich schnell geht. Wir haben Eltern oder Kinder, die berichten, dass die Symptome mehrere Wochen bis Monate bestehen und eher ein sehr langsamer und schleichender Prozess waren. Wir haben aber auch Kinder oder Eltern, die berichten, dass es nur eine Zeit von ein bis zwei Wochen waren. Letztendlich berichten aber alle, dass es diese Auffälligkeiten gab, also dass die Eltern schon länger ein ungutes Gefühl hatten, dass ihnen aufgefallen ist, irgendetwas stimmt nicht mit meinem Kind, dem geht es nicht so richtig gut. Aber es sind eben keine klassischen Symptome aufgetreten. Es kam eben der Effekt, der vermutet wurde nicht oder es kam eben kein Fieber, sondern es waren diese subtilen, kleinen Dinge, die bemerkt worden sind und dann in der Summe irgendwann dazu führen, dass man zum Kinderarzt geht. Wenn die Symptome nicht bemerkt werden, und auch das ist nicht so selten, weil es eben nichts massiv Schlimmes ist, was das Kind akut beeinträchtigt, dann führt das irgendwann dazu, dass dieser schlechte Stoffwechsel in einer Situation entgleist und der Körper das nicht mehr kompensieren kann. Das äußerst sich dann tatsächlich massiv beim Kind, indem es über Bauchschmerzen klagt, über Übelkeit klagt, ganz, ganz viel trinkt aber das nicht mehr drin behält und das dann anfängt zu erbrechen. Und spätestens in diesem Stadium kommen dann die Eltern mit dem Kind zum Kinderarzt oder in die Klinik.  

Mario D. Richardt: Und da ist es ja im Prinzip dann schon fast zu spät, oder? Also ich meine, die Bauchspeicheldrüse ist dann schon sehr angegriffen. Ich habe irgendwie so eine Zahl gehört von 80 Prozent.  

Heike Bartelt: Das ist richtig, man sagt, dass bei Manifestation, also beim Feststellen der Erkrankung, noch ungefähr 20 Prozent der insulinbildenden Zellen im Körper vorhanden sind. Die reichen aber eben nicht mehr aus, um genug Insulin zu produzieren, als dass der Körper mit dem Insulin den Blutzucker normalisieren kann. Durch diesen zu hohen Blutzucker entstehen eben die eben genannten Symptome. Natürlich ist es für das Kind und für die Eltern schöner, wenn das sehr rechtzeitig erkannt wird,es dem Kind nicht schlecht geht und dann die Diagnose gestellt wird.  

Mario D. Richardt: Aber man kann das nicht verhindern?  

Heike Bartelt: Man wird es nicht verhindern können und letztendlich ist es, auch wenn das Kind erbrechend und in einer schweren Ketoazidose ist, so nennt man diese Entgleisung des Körpers und des Stoffwechsels, in die Klinik kommt, nicht zu spät, weil die Diagnose wird trotzdem gestellt. Das ist nur ein schlechterer und zum Teil muss man tatsächlich aber sagen auch lebensgefährlicher Teil der Manifestation, wenn die Erkrankung erst dann bemerkt wird.  

Mario D. Richardt: Wie stellen Sie die Diagnose?  

Heike Bartelt: Letztendlich, wenn Eltern mit den vorhin genannten Symptomen zu einem Kinderarzt kommen, ist das ganz einfach. Wir gucken im Urin, ob die Niere schon Zucker ausscheidet, weil das tut sie, wenn der Blutzucker zu hoch ist. Das ist ein Kompensationsmechanismus des Körpers und wenn wir im Urin Zucker finden, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch. Außerdem gucken wir im Blut nach dem Zuckerwert und wenn dieser Zuckerwert einen bestimmten normalen Zuckerwert übersteigt, dann ist die Diagnose eigentlich klar.  

Mario D. Richardt: Aber man kann es im Prinzip wirklich nicht verhindern? Es gibt nichts, was man präventiv machen kann?  

Heike Bartelt: Nein, Diabetes Typ 1 ist eine Autoimmunerkrankung, also der Körper macht es mit sich selbst aus. Er richtet seine Abwehrzellen des Körpers gegen körpereigenes Gewebe, also die Zellen, die das Insulin produzieren oder ausschütten und bekämpft diese indiesem Autoimmunprozess. Es ist nicht bekannt, wodurch genau der angestoßen wird, wodurch er getriggert wird, und deswegen kann man auch bisher nichts aktiv dagegen tun, wie gegen keine andere Autoimmunerkrankung.  

Mario D. Richardt: Also man kann nicht sagen, dass es den oder den Auslöser gibt, wenn man vielleicht zu viel Süßes isst, wie bei Diabetes Typ 2? 

Heike Bartelt: Auf gar keinen Fall. Das ist total wichtig, besonders für die Patienten und für die Eltern, dass denen das bewusst gemacht wird, dass sie nichts falsch gemacht haben, dass sie ihrem Kind nichts Falsches zu essen gegeben haben, dass auf keinen Fall eine falsche Ernährung diese Erkrankung ausgelöst hat. Ganz, ganz häufig haben Eltern Schuldgefühle bei der Diagnosestellung Typ 1 bei ihrem Kind und werfen sich genau diese Sachen vor. Sie überlegen, ob sie eine Medikation falsch verabreicht haben, ob eine Impfung falsch war oder der Schutz vor Infektionen zu wenig gewesen ist. Es ist total wichtig, dass das alles falsch ist. Die Eltern hätten das zu keinem Zeitpunkt für ihre Kinder ändern können.   

Mario D. Richardt: Und da muss man Glück haben und eine emphatische Diabetologin treffen, so wie Sie.  

Heike Bartelt: Letztendlich kommen die Kinder mit der Verdachtsdiagnose immer zu einem Kinderdiabetologen, weil letztendlich dann wichtig ist, dass das Kind natürlich eine Insulintherapie bekommt und, dass die eingestellt werden muss. Aber genauso wichtig ist, dass die Eltern und das Kind immer geschult werden und sie in die Lage versetzt werden zu verstehen, was jetzt passiert ist, was braucht mein Körper und wie führe ich diese Therapie durch. Genau dafür sind wir da. Aber da reiche ich als Diabetologin nicht, da brauche ich ein ganzes Team. Da sind zum Teil die Diabetesberater, unsere Ernährungstherapeuten, alle im Team sind wichtig und wir zusammen als Team zeigen das der Familie.   

Mario D. Richardt: Da sind wir schon quasi beim nächsten Punkt, was bedeutet die Diagnose für die Eltern und das Kind?  

Heike Bartelt: Letztendlich hat das Kind ab dann eine chronische Erkrankung und das bedeutet, die Erkrankung wird zeitlebens des Kindes nicht mehr weggehen. Es wird eine Insulintherapie durchführen müssen, das heißt, es wird sich jeden Tag mehrfach täglich, mit verschiedenen Möglichkeiten, Insulin geben müssen, immer angepasst an das Essen und an das aktive Leben, dass es zu dem Zeitpunkt führt und wird darüber auch immer nachdenken müssen. Es wird immer die therapeutische Entscheidung treffen müssen. Was wir aber versuchen und was auch das Ziel ist, auch mit einer chronischen Erkrankung, ist, dass man trotzdem ein ganz normales Leben führen kann, also dass die Kinder natürlich in den Kindergarten gehen, natürlich in die Schule gehen, dass die ihren Hobbys nachgehen können, dass die auch genauso weiter essen, wie sie vorher gegessen haben. Also das Ziel ist natürlich eine gesunde Ernährung, aber das bedeutet nicht, wenn ein Kind sofort einen Typ 1 Diabetes bekommt, dass es seine Ernährung total umstellen muss. Im Gegenteil, es ist sogar falsch, sein Kind kohlenhydratfrei zu ernähren. Die Kinder brauchen Kohlenhydrate, um zu wachsen und um groß zu werden und auch bei Typ 1 Diabetes brauchen die Kinder eine adäquate Zufuhr von Kohlenhydraten, die dürfen nicht gemieden werden. Also wir wollen nicht, dass die Kinder Zuckerersatzstoffe verwenden, sondern tatsächlich Zucker. Die sollen auch ihren Kuchen essen und Brot und Nudeln. Sie müssen nur lernen, wie viel Insulin brauche ich für eben diese Dinge und müssen lernen, sich die zu verabreichen.  

Mario D. Richardt: Also Kindergeburtstage, Pizza, auch mal ein Burger, Kuchen. 

Heike Bartelt: Herzlichen Glückwunsch, ja.  

Mario D. Richardt: Alles erlaubt.  

Heike Bartelt: Ja, unbedingt. Die müssen nur wissen, wie viel Insulin sie dafür brauchen und sich das geben können. Und wenn sie in einem Alter sind, wo sie das noch nicht alleine können, dann sind die Eltern meistens im Spiel und organisieren das für das Kind mit. Und wenn die Kinder älter sind, sind sie recht schnell in der Lage das nach Absprache mit den Eltern selbst durchzuführen.  

Mario D. Richardt: Es gibt quasi eine Schulung, ja?  

Heike Bartelt: Wir schulen, also bei Manifestation das Kind selber immer altersentsprechend, so viel wie möglich ist. Wir schulen beide Eltern oder Erziehungsberechtigte undwir versuchen auch Angehörige, die viel in die Betreuung des Kindes mit eingebunden sind, zum Beispiel Großeltern, mitzuschulen. Was wir im Rahmen der Manifestation auch regelmäßig tun, ist die Erzieher im Kindergarten oder die Lehrer und Hortner mitzuschulen, damit, wenn mit dem Kind was nicht in Ordnung ist,sie eingreifen können, dass sie unterstützen können. Wir versuchen also das gesamte Umfeld in die Lage zu versetzen, das Kind in der Therapie zu begleiten und das Kind dem Alter angemessen immer so selbstständig wie möglich zu machen, mit dem Ziel  einer guten Blutzuckereinstellung. und, dass das Kind sein ganz normales Leben lebt, die Insulintherapie gut ausführt wird und, dass es ihm mit der Insulintherapie gut geht und alle anderen Begleitpersonen zur Unterstützung da sind. Wir bieten dann altersentsprechend auch ambulant unterschiedliche Schulungen an, also die Kinder oder die Betreuer können zu einer einzelnen ambulanten Schulung kommen. Wir haben aber auch einzelne, dem Alter angemessene Schulungen, wie eine Vorschulbeschulung. Dabei kommen unsere Kinder, die dieses Jahr alle in die Schule kommen, zu uns zu einer Schulung, wo wir einen Schultag mit denen durchgehen und gucken, was könnte denn in der Schule für mich wichtig sein, was gehört in den Ranzen, wenn ich Diabetes habe? Dann arbeiten wir sehr eng zusammen mit dem Elternverein Diabetes Kids Leipzig zusammen und organisieren ein Ferienlager, das ist einmal im Jahr in den Sommerferien, tatsächlich eine ganze Woche, stattfindet, wo Kinder, die hier in Betreuung sind und einen Typ 1 Diabetes haben, miteinander ins Ferienlager fahren. Wenn die eine Woche mit 50 Kindern verbringen, die alle Diabetes haben, ist das für die am Anfang unfassbar und das ist aber toll für die und bestärkt die in dem Gefühl: “Ich bin nicht alleine damit und anderen geht es auch so und die kommen gut klar und wie machen die das denn vielleicht?” Dort finden natürlich auch Schulungen statt, altersentsprechend, darüber was wichtig ist beim Diabetes? Dass die immer Dinge wieder hören. Was mache ich bei hohem Blutzucker? Was mache ich bei zu tiefem Blutzucker? Kriegen die auch in ambulanten Schulungen, wenn es notwendig ist, wenn wir das in der Sprechstunde feststellen, wird immer noch einmal nachgeschult. Die Jugendlichen, mit denen machen wir im Herbst eine Jugendschulung. Tatsächlich versuchen wir da über zwei, drei Tage mit denen zusammen in der Gruppe von ungefähr 30 bis 40 Jugendlichen Themen zu besprechen, die in dem Alter wichtig sind. Also was mache ich mit dem Führerschein, wenn ich Diabetes habe? Was ist bei der Berufswahl zu berücksichtigen? Spielt Diabetes bei der Sexualität eine Rolle? Oder was ist denn nun tatsächlich mit den Folgeerkrankungen, von denen alle reden? Das besprechen wir in den Jugendschulungen mit unseren Kindern. Wir bieten Schulungen an, für Oma und Opa, die sich häufig nicht direkt trauen, mit zum Diabetologen in die Sprechstunde zu kommen, zum Teil sich aber auch nicht trauen, die eigenen Kinder zu fragen, weil es ums Enkelkind geht. Das besprechen wir mit denen in einzelnen Schulungen, also wir versuchen tatsächlich für alle die Möglichkeit zu bieten, sich zu informieren.  

Mario D. Richardt: Aber es ist ganz wichtig, dass die Großeltern quasi auch mit eingebunden werden, weil Kinder ja häufig bei den Großeltern zu Gast sind, damit sie einfach wissen, wie sie damit umgehen. Dann und man muss auch ganz klar sagen, also die Krankheit ist ja nicht heilbar und die Diagnose begleitet einen bis ans Lebensende, bis ins hohe Alter.  

Heike Bartelt: Ja. Ja.  

Mario D. Richardt: Muss sich das Kind denn mehrmals auch täglich in den Finger piksen, um den Blutzuckerspiegel zu bestimmen? 

Heike Bartelt: Also tatsächlich muss das Kind mehrfach am Tag den Blutzucker messen. Also wir müssen mehrfach am Tag wissen, wie hoch der Blutzucker gerade ist. Zum einen, um zu wissen, befinden wir uns in einem guten Bereich? Müssen wir gerade etwas ändern? Muss das Kind etwas essen, weil der Blutzucker zu tief ist, oder muss es tatsächlich Korrekturspritzen, weil der Blutzucker zu hoch ist? Zum anderen muss es heutzutage aber nicht mehr zwangsläufig piksen, weil es inzwischen Systeme gibt, die im Unterhautfettgewebe den Blutzucker kontinuierlich messen. Also das muss man sich vorstellen. Da ist ein kleiner Teflonfaden, der im Unterhautfettgewebe liegt, so ein bisschen wie eine Borste von einer Zahnbürste, so kann man sich vorstellen, keine spitze Nadel, die da pikst, sondern die man tatsächlich, wenn die einmal liegt und klebt, nicht mehr bemerkt. Und diese Geräte können den Blutzucker kontinuierlich anzeigen.  

Mario D. Richardt: Also wie auf einem Handydisplay? 

Heike Bartelt: Ja zum Beispiel. Tatsächlich sind das auch Sensoren, die mit Handys sprechen und die mit Handyapps verbunden sind. Und die großen Jugendlichen finden das natürlich toll, wenn die sich nicht mehr in den Finger stechen müssen, mitten in der Straßenbahn, alles auspacken, sondern aufs Handy gucken und ringsherum bekommt gar keiner mit, dass der seinen Blutzucker gerade checkt. So, das ist gut, also tatsächlich mehrfach den Blutzucker messen müssen die unbedingt, aber piksen tatsächlich nicht mehr.  

Mario D. Richardt: Und das Piksen mit der Spritze ist wahrscheinlich auch nicht mehr so wie bei Diabetes Typ 2, sondern da gibt es die berühmte Insulinpumpe?  

Heike Bartelt: Tatsächlich, es gibt die Insulinpumpe, das ist richtig und die wird bei einem Typ 1 Diabetes eingesetzt, ist aber kein Allheilmittel. Also eine Insulinpumpe ist eine tolle Sache. Es ist letztendlich ein kleiner Computer, der ein Insulin-Reservoir enthält, mit einer Batterie betrieben wird und aus diesem Insulin-Reservoir kommt ein Schlauch, ein kleiner Katheter nennt sich das, der an der Spitze eine kleine Stahlnadel oder eine kleinen Teflonschlauch enthält. Der wird ins Unterhautfettgewebe am Körper gelegt, mit einem kleinen Pflaster fixiert wird und über diesen Katheter, über diesen Schlauch, fließt Insulin in den Körper. Die Pumpe macht das aber nicht alleine automatisch. Alles, was die Pumpe macht, muss ich in die Pumpe einprogrammieren. Das heißt, die Kinder, die Insulin spritzen, müssen in der Regel ein Basalinsulin spritzen, dass den Grundbedarf des Körpers abdeckt, das sogenannte langwirksame Insulin. Und wenn die essen, spritzen die zusätzlich für das Essen ein kurzwirksames Insulin. Bei einer Insulinpumpentherapie, die inhaltlich genau dasselbe ist, fehlt das langwirksame Insulin und das wird von der Pumpe nachgeahmt, indem die Pumpe einmal in der Stunde einen Bolus abgibt, von dem kurzwirksamen Insulin und das in der Summe sozusagen das Basalinsulin nachahmt. Das Essensinsulin muss genauso berechnet und abgerufen werden, nur dass es tatsächlich dann nicht über einen Piks erfolgt, sondern über den Schlauch, nachdem ich es in der Pumpe eingegeben habe, in den Körper fließt.  

Mario D. Richardt: Das klingt ja echt kompliziert.  

Heike Bartelt: Am Anfang klingt es das für jeden, wenn man das einmal macht, ist das tatsächlich nicht mehr kompliziert. Was ich wichtig finde ist, die Pumpe ist eben nicht das Allheilmittel, dass alles von alleine tut. Ich muss die Pumpe genauso bedienen, wie ich das mit einem Pen auch mache. Ich muss mich vielleicht sogar ein kleines bisschen besser darum kümmern, weil ich mich um den Katheter kümmern muss, den muss ich selber alle zwei Tage wechseln, ich muss gucken, dass der nicht verstopft ist, dass der nicht ab geht. Ich muss die Pumpe gut pflegen. Ich habe inhaltlich ein paar mehr Möglichkeiten die Therapie zu steuern mit der Insulinpumpe, das ist ganz klar und die Insulinpumpe kann Insulin auch feiner dosieren, als ich das mit einem Insulinpen kann und deswegen ist das tatsächlich auch für viele eine gute Möglichkeit eine feinere Therapie zu machen. Ich muss die Möglichkeiten aber eben auch nutzen und wenn ich das nicht tue und mich nicht um diese Therapie kümmere, dann bin ich mit einer Insulinpumpe auch mal ganz schnell viel schlechter eingestellt als mit einer Pentherapie.  

Mario D. Richardt: Gibt es eine Alternative zur Pumpe?  

Heike Bartelt: Die Pentherapie. Das ist das, was die Erwachsenen letztendlich auch machen. Also Insulinpens, die sehen tatsächlich aus wie Füller. Es ist vorne eine kleine Nadel dran, aberstatt Tinte ist Insulin in der Patrone und hinten an dem Pen, also an dem Stift ist ein Drehrädchen, womit ich einstelle, wie viel Insulineinheiten gespritzt werden sollen. Die Kinder haben dann mindestens zwei verschiedene Pens, weil es zwei verschiedene Insuline sind und applizieren sich dann mit den Pens das Insulin zum Essen und für den Grundbedarf. 

Mario D. Richardt: Aber im Prinzip kann das Kind auch ganz normal am Sportunterricht teilnehmen, auf den Spielplatz gehen?  

Heike Bartelt: Unbedingt.  

Mario D. Richardt: Alles möglich?  

Heike Bartelt: Alles. Unbedingt, unbedingt Sport in der Schule mitmachen, unbedingt auf den Spielplatz gehen, sich mit Freunden treffen. Es gehört ein kleines bisschen dazu, dass man sich trotzdem um den Diabetes kümmert, also dass man vor dem Sport und vor dem Spielplatz guckt, ist mein Blutzucker okay? Passt der für den Sport und für den Spielplatz? Und tatsächlich bedeutet das, der darf zu dem Zeitpunkt gar nicht gut sein, der muss ein Stück höher sein, weil der Zucker dann beim Sport oder auf dem Spielplatz verbraucht wird.  

Mario D. Richardt: Um auf den Kindergeburtstag noch mal zurückzukommen, nehmen wir mal an, mein Kind hat Diabetes Typ 1 und ist zum Kindergeburtstag eingeladen. Muss ich da als Elternteil vorher natürlich die Familie des Geburtstagskindes instruieren, was passiert, wenn jetzt dies und das passiert? 

Heike Bartelt: Prinzipiell sollte man natürlich der Gastfamilie sagen, dass das Kind einen Typ 1 Diabetes hat. Wobei ich davon ausgehe, wenn man zum Geburtstag eingeladen wird, ist man schon ein Stück befreundet und dann gehe ich auch davon aus, dass die Freunde das schon wissen. Inwieweit die Familie da helfen und unterstützen muss, kommt tatsächlich drauf an, wie alt das Kind ist. Wenn also jetzt ein Grundschulkind zur Freundin zum Geburtstag eingeladen wird, dann ist es sicher sinnvoll sich mit der Mama des Geburtstagskindes abzusprechen. Was gibt es denn heute zum Kaffeetrinken und was macht ihr denn? Geht ihr hinterher Trampolinspringen oder was ist geplant für den Geburtstag? Vielleicht ist es sogar sinnvoll zu sagen, ich begleite das ein Stück und komme zur Mahlzeit dazu und gehe dann wieder als Elternteil. Oder wenn das eine taffe Mama vom Geburtstagskind ist, dass sie das mit dem Kind gemeinsam macht und ein Telefonanruf oder eine WhatsApp reicht, um das abzusprechen. Wenn natürlich die großen Jugendlichen zur Geburtstagsparty vom Kumpel eingeladen sind, dann managen die das in der Regel schon selber.  

Mario D. Richardt: Man kennt es ja vom Typ 2 Diabetes, da gibt es ja dann auch diese schweren Begleit- und Folgeerkrankungen. Muss man da auch später bei dem Kind mit rechnen, mit dem Typ 1 Diabetes?  

Heike Bartelt: Das ist eine ziemlich schwierige Frage und das ist eine Frage, die viele Eltern sofort beschäftigt. Was wird mit meinem Kind, wenn es so lange diese Erkrankung hat? Letztendlich muss man sagen ja, wenn man sich nicht um seinen Diabetes kümmert, wenn der nicht gut eingestellt ist, dann ist damit zu rechnen, dass sowohl Komplikationen, also Blutzuckerentgleisungen akut aber auch Folgeerkrankungen entstehen. Das Ziel ist aber, und deswegen begleiten wir die Familien auch sehr eng und unterstützen die, dass es eben eine gute Blutzuckereinstellung gibt. Und die Möglichkeiten, die es heutzutage dafür gibt, sind inzwischen sehr gut. Die kontinuierliche Blutzuckermessung und die Möglichkeit meinem Körper kontinuierlich Insulin zuzuführen in einer adäquaten Dosis, helfen die Wahrscheinlichkeit, dass diese Folgeerkrankungen auftreten, deutlich verringern. Die Studien, die es dazu gibt, zeigen, dass die Lebenserwartung verkürzt sein könnte oder eben Erkrankungen auftreten, an den Augen, an den Nieren, an den Füßen. Natürlich gibt es die und das sind auch beängstigende Zahlen, wenn man sich das durchließt, aber letztendlich muss man sich auch vor Augen halten, dass in der Qualität wie heute die Insulintherapie gemacht wird, die Insulintherapie vor 20 Jahren noch gar nicht stattgefunden hat und dass man deswegen davon ausgeht, dass diese Zahlen der Studien heute gar nicht mehr so gut gültig sind. Wir versuchen immer, mit unseren Patienten und mit den Eltern abzusprechen, dass je besser die Therapie, desto unwahrscheinlicher ist es, dass es diese Erkrankungen,Folgen oder Komplikationen auftreten.  

Mario D. Richardt: Also im Prinzip ist am wichtigsten, dass man sich gut kümmert, um den Diabetes und dass man auch in Bewegung bleibt?  

Heike Bartelt: Ja. Genau. Ich finde immer, man hat als guten Vergleich, wenn man es schafft, sich um seinen Diabetes zu kümmern, wenn man es wie das Zähneputzen absolviert. Man macht das einfach, man denkt nicht permanent drüber nach, aber man macht es und das Ergebnis ist gut. Und wenn es dem Kind gutgeht, gesundheitlich, und es allgemein glücklich im Leben ist, dann ist alles richtig.  

Mario D. Richardt: Immer häufiger wird ja auch bei Kindern Diabetes Typ 2 festgestellt. Woran liegt das? 

Heike Bartelt: Das liegt sicherlich daran, dass es immer mehr Kinder und Jugendliche mit Übergewicht, also Adipositas, wenig Bewegung, viel essen und ungesundem Essen gibt. Das hat natürlich jetzt auch in der Pandemie noch mal deutlich zugenommen. Und dann wird bei immer mehr Kindern und Jugendlichen auch ein Typ 2 Diabetes diagnostiziert.  

Mario D. Richardt: Und wer sich zum Typ 2 Diabetes noch informieren möchte, kann das gern tun. Dazu gibt es gleich mehrere Folgen in dieser Podcastreihe. Frau Bartelt, herzlichen Dank.  

Heike Bartelt: Sehr gerne.