Jede:r Zweite von uns ist chronisch krank. Sprechen wir darüber. In insgesamt acht Podcastfolgen geht es diesmal um Multiple Sklerose. Wir führen Sie durch jede Phase der Krankheit, damit Sie immer gut informiert sind und heute in Folge sieben spreche ich mit einer jungen Frau, die Multiple Sklerose hat und mit ihrem Freund. Willkommen bei Chronisch Mensch, einem Podcast von apo.com.

Vick Sophie Multiple Sklerose Patientin

Vic Sophie Körber

spricht gemeinsam mit ihrem Freund Konrad über ihr Leben mit MS.

Transkript der Folge „Ich habe Multiple Sklerose (1)“

Mario D. Richardt: Das Thema in der siebten Folge lautet “Ich habe Multiple Sklerose” und ich bin zu Gast in der Wohnung von Vic Sophie Körber und ihrem Freund Conrad Fesche. Sie ist 26 und er 30 Jahre alt. Also Vic, hallo Conrad.  

Vic: Hallo, ich freue mich dabei sein zu dürfen und auch, dass Sie dabei sind.  

Conrad: Hallo. 

Mario D. Richardt: Vic, warum ist es Dir denn persönlich so wichtig, dass Du über Deine Krankheit sprichst und vielleicht auch Deine Erfahrungen mit anderen teilen möchtest? 

Vic: Ich denke, weil viele Angst vor dieser Krankheit haben, viele ein falsches Bild davon haben und denken, dass man nicht mehr alles machen kann. 

Mario D. Richardt: Aber das ist es im Prinzip gar nicht? 

Vic: Nein.  

Mario D. Richardt: Und darüber werden wir heute auch sprechen. Wie haben sich denn bei Dir die ersten Symptome gezeigt?  

Vic: Ich hatte Kopfschmerzen und Schwindel und dann ist aufgefallen, dass sich meine rechte Pupille nicht mehr bewegt.  

Mario D. Richardt: Das heißt Du hast in den Spiegel geguckt und hast es dann gesehen oder war das durch die Schärfe dann? 

Vic: Genau, also meine Schwester hat das bemerkt, weil ich halt über Kopfschmerzen und Schwindel geklagt habe und dann hat sie mich halt angeguckt und hat gesagt: „Deine Pupille rechts bewegt sich ja gar nicht“, genau und dann fing halt der Ärzteweg an. Ja, dann habe ich die Sehkraft auf beiden Augen verloren, bis zu 30 Prozent. Dann gab es viele Vermutungen, was es sein könnte, etwa Gehirnblutung. Dann habe ich Kortison bekommen und dann hat sich das auch wieder verbessert. 

Mario D. Richardt: Aber Du hast Kortison bekommen, ohne dass man wusste, was es ist?  

Vic: Ja, MRTs wurden vorher auch gemacht, um halt Gehirnbluten erst mal auszuschließen. Genau, aber ja, da wusste man noch nichts davon, dass es MS ist.  

Mario D. Richardt: Wie alt warst Du damals?  

Vic: 14. 

Mario D. Richardt: Also sehr, sehr jung und das Spannende ist, kurz bevor die ersten Symptome losgingen, hast Du den Conrad kennengelernt? 

Vic: Richtig, drei Wochen vorher, ja. 

Mario D. Richardt: Drei Wochen vorher. 

Conrad: Ja, das war schon eine aufregende Zeit auf jeden Fall, auch für uns beide, also frisch verliebt in der Zeit praktisch, und da kamen wir dann ja auch in die Situation rein, wo sie dann eben ins Krankenhaus musste und dann auch längere Zeit eben da war für diese ganzen Untersuchungen. Das war natürlich auch eine Phase der Ungewissheit, weil auch viel gerätselt wurde und eben herausgefunden werden musste, was nicht stimmt.  

Mario D. Richardt: Wie hast Du das damals erlebt? Hast Du Dir Sorgen gemacht als die ersten Symptome da waren oder ich meine, in Deinem Alter, Du warst ja auch damals 18, glaube ich, oder? Da macht man sich jetzt nicht so viel Gedanken, oder?  

Conrad: Naja doch schon, es war eine Zeit, wo wir eben frisch zusammengekommen waren und wo dann irgendwas nicht gestimmt hat mit dem, den man dann gerade kennengelernt hat und dann noch mochte in der Zeit. Das war natürlich ja, das war eine Ungewissheit eben.  

Mario D. Richardt: Wie ging es dann bei Dir weiter, Vic?  

Vic: Ich war dann lange Zeit im Krankenhaus, ein paar Tage zu Hause, wieder im Krankenhaus und so weiter. 

Mario D. Richardt: Immer wegen einer Sehstörung? 

Vic: Genau, um halt auch herauszufinden, was es ist. Und ich habe viele Medikamente bekommen wegen Verdacht auf Borreliose. Dann wurde vermutet, dass ich Drogen genommen habe, ja, war dann halt alles nicht so. Und irgendwann wurde eine Lumbalpunktion gemacht. 

Mario D. Richardt: Lumbalpunktion heißt, man hat Dir Hirnwasser entnommen?  

Vic: Genau. Nach Nachfrage meiner Mama, warum das gemacht wurde, was dann damit untersucht wurde, wurde uns dann halt erst gesagt, dass Multiple Sklerose damit untersucht wird und, dass diese Vermutung halt besteht.  

Mario D. Richardt: Und alles nur aufgrund der einzelnen Symptomatik wegen der Augen?  

Vic: Genau.  

Mario D. Richardt: Sonst hattest Du nichts weiter, am Anfang?  

Vic: Nein.  

Mario D. Richardt: Hast Du schon mal vorher von Multiple Sklerose damals gehört? 

Vic: Nein.  

Mario D. Richardt: Du hast also auch gar nicht gewusst was auf Dich zukommen könnte?  

Vic: Ne.  

Mario D. Richardt: Was ist mit Dir, Conrad?  

Conrad: Ich wusste auch überhaupt gar nichts drüber. Also ich habe das dann in dem Zusammenhang auch zum ersten Mal erfahren, dass es so was gibt und, dass Leute halt zu dem Zeitpunkt ja noch wesentlich schlechter behandelt werden können, als es mittlerweile der Fall ist. Also in den letzten 10, 12 Jahren hat sich da ja wirklich ziemlich viel getan und das war für mich natürlich auch völlig neu.  

Mario D. Richardt: Ja klar, ich meine, Ihr wart ja auch ganz frisch zusammen, umso bemerkenswerter ist es ja, dass Du trotzdem an ihrer Seite gestanden hast, obwohl Du ja nicht wusstest, was denn jetzt los hier ist. 

Conrad: Ja, das war für mich eigentlich nie ein Thema. Also es stand auch nie irgendwie so zwischen uns, diese Krankheit. Ich meine klar, das war immer ein Teil von Vic fortan, seitdem ich sie kannte und das war eine Sache, die praktisch unser Leben gemeinsam eben schon seitdem auch begleitet. Mit allem, was eben dazu gehört.  

Mario D. Richardt: Gerade, wenn man ja länger zusammen ist, dann macht man das ja sowieso, das ist ja eine Selbstverständlichkeit, aber ich fand es ja so bemerkenswert, weil Ihr eben erst so ganz frisch zusammen wart. Also dass Du trotzdem so stark gewesen bist. Wie hast Du das empfunden? Hast Du ein bisschen Angst gehabt, dass er Dich vielleicht im Stich lassen könnte?  

Vic: Ja natürlich, weil man wusste ja auch nicht, ob es wieder besser wird, ob es so bleibt und wie es halt weitergeht.  

Mario D. Richardt: Wie ging es dann weiter, nachdem Du dann diese Lumbalpunktion hattest? 

Vic: Also ich war ja noch sehr jung und war in einer Kinderklinik und da wurde MS nicht behandelt. Ich habe dann das Krankenhaus gewechselt und wurde da dann noch mal untersucht. Dann wurde die Diagnose bestätigt. Anschließend wurde ich auf das erste Medikament eingestellt und musste dann alle sechs Monate, das war damals in Göttingen, in der Uniklinik, dahin zur Kontrolle.  

Mario D. Richardt: Hast Du irgendwie eine Beratung bekommen, also hat man sich intensiv mit Dir hingesetzt und Dich aufgeklärt, was eigentlich Multiple Sklerose ist und was alles auf Dich zukommen kann? 

Vic: Ja, als mir die Diagnose dann gesagt wurde, genau, hat man mir auch erklärt, was das bedeutet und, dass man trotzdem alles machen kann, sein Leben ganz normal leben kann, wie jeder andere auch.  

Mario D. Richardt: Und das war ja auch ein langer Weg bis zur Diagnose, oder? Mit 14 hattest Du die ersten Symptome, mit 15 dann die Diagnose. Wie haben das Deine Familienmitglieder, Deine Eltern empfunden? War es eine Schockdiagnose? Ich habe das Gefühl, Du hast es sehr gefasst aufgenommen.  

Vic: Im ersten Moment war es für uns alle natürlich ein Schock. Das ist, denke ich mal, auch verständlich, aber ja, man muss halt lernen damit zu leben. Man muss es akzeptieren, man kann es nun mal auch nicht ändern. Ich habe es ziemlich schnell mit Fassung genommen, weil ich halt noch ziemlich jung war. Ich bin ja quasi damit groß geworden.  

Mario D. Richardt: Also das ist sozusagen jetzt rückwirkend, Deine Reflexion. Gab es da vielleicht eine Situation, wo Du vielleicht sogar Panik hattest?  

Vic: Ne, ich habe es eigentlich ziemlich schnell mit Fassung genommen, weil die Sehkraft hat sich dann ja auch erst mal wieder verbessert und hatte dann auch erstmal so merklich nichts, die ersten Jahre.  

Conrad: Ja stimmt, die ersten größeren Symptome kamen ja dann eigentlich so in den letzten fünf Jahren erst mit dazu, bei denen man jetzt sagen würde ja, das hat irgendeinen Fortschritt, diese Krankheit. Also da war dann, nachdem dann diese erste Behandlung eben abgeschlossen war, auch erstmal eine Weile wieder gut in Anführungsstrichen.  

Mario D. Richardt: Also im Prinzip hattest Du am Anfang diese Sehstörungen, mit Verlust von 30 Prozent der Sehkraft, dann hat sich das gebessert und das war dann, habe ich das jetzt rausgehört, fünf Jahre lang fast so, als hättest Du die Krankheit gar nicht? 

Vic: Naja schlechter gucken konnte ich schon noch aber das mit den 30 Prozent hat sich gebessert. Also ich hatte dann auch eine Kantenfilterbrille, um die Kontraste besser zu sehen und habe da auch längere Zeit, so in der Schule für Klausuren oder so, weil da habe ich es halt schon gemerkt, dass ich durch die Augen länger brauch, Probleme, Sachen zu lesen und zu erfassen. Also das war schon so aber die anderen Sachen kamen halt erst später, genau.  

Mario D. Richardt: Welche Symptome kamen denn vor fünf Jahren dazu? 

Vic: Genau, zuerst habe ich eine Fußheberschwäche rechts bekommen. 

Mario D. Richardt: Wie muss man sich das vorstellen, Fußheberschwäche? Du hattest Probleme beim, beim Heben des Fußes?  

Vic: Genau, also wir waren spazieren, ganz normal, es war Sommer und ich hatte Flip-Flops an und habe immerzu rechts den Flip-Flop verloren und habe mich gewundert, hm, was ist denn los? Warum verlierst Du den immerzu? Das ist irgendwann immer schlimmer geworden. 

Mario D. Richardt: Hast Du es gleich in Verbindung gebracht, mit der Krankheit?  

Vic: Ne, im ersten Moment gar nicht. Aber es ist dann immer schlimmer geworden, sodass ich halt den Fuß nicht mehr heben konnte, auch öfters gefallen bin. Kurze Zeit später hatte ich vermehrt Blasenentzündungen, hatte dann eine Blasenentleerungsstörung, dann ist mein rechtes Auge wieder schlechter geworden und ich habe ein Pendelnystagmus rechts bekommen. 

Mario D. Richardt: Was bedeutet das? 

Vic: Dass mein Auge rechts wackelt und dadurch, dass es halt nur einseitig ist, sieht man es halt auch immerzu.  

Conrad: Ja und dadurch kommt jetzt eben dazu, dass dadurch, dass das Auge andauernd am Wackeln ist, eben das Gehirn das Auge in dem Fall dann ausblendet. Und jetzt ist praktisch so, als wäre sie auf einem Auge so gut wie blind sozusagen.  

Vic: Ja, auf dem rechten Auge habe ich durch die Sehnervschädigung noch fünf Prozent, fünf bis zehn Prozent Sehkraft. 

Mario D. Richardt: Also hat sich das dann manifestiert?  

Vic: Genau, das ist dann so geblieben, ja.  

Mario D. Richardt: Was ich auch super finde, der Conrad hatte die Idee, dass er Euer Salz mit Aktivkohle gefärbt hat, dass Du auch siehst, wenn das Salz aus dem Salzstreuer kommt und Ihr habt auch Trinkgläser mit farbigen Rändern, damit Du beim Eingießen besser triffst. Wie ging es dann mit der Behandlung weiter? 

Vic: Naja, es war alles immer ein bisschen problematisch, weil das immer nicht so richtig als Schub erkannt wurde und wenn ich dann Kortison bekommen habe, war es vielleicht schon zu spät oder hat auch gar nicht geholfen, sodass ich eigentlich nichts so richtig zurückgebildet hat. 

Mario D. Richardt: Du hast also wirklich auch merklich diese Schübe? 

Vic: Genau.  

Mario D. Richardt: Wie häufig treten die bei Dir auf? Kannst Du das irgendwie festmachen? Alle drei Monate, einmal im halben Jahr? Wie lange dauern die dann? 

Vic: Die, die ich jetzt aufgezählt habe, waren immer so ungefähr im Abstand von einem Jahr und seit 2018, ’19 habe ich eigentlich gar nichts mehr. Ich hatte im Dezember 2018 ein neues Medikament bekommen und seitdem bin ich eigentlich stabil. 

Mario D. Richardt: Beließt Du Dich regelmäßig zu dem Thema Multiple Sklerose? Also guckst Du auch bewusst im Internet nach, ob es da vielleicht was Neues gibt oder wenn Du vielleicht Symptome hast, ob die mit Multiple Sklerose zusammenhängen können? 

Vic: Nein, eigentlich gar nicht. Also klar Zeitschriften beim Arzt oder man bekommt ja auch welche zugeschickt, die lese ich mir schon durch und beschäftige mich damit. Aber ich setz mich jetzt nicht ans Internet und google nach irgendwelchen Sachen, was kommen kann, irgendwelche Symptome zum Beispiel.  

Mario D. Richardt: Hast Du zwischendurch mal recherchiert, Conrad? 

Conrad: Ja natürlich, klar. Dr. Google ist ja jedermanns Freund heutzutage, wenn es um solche Problemchen eben geht und MS ist ja sozusagen auch als Krankheit der 1.000 Gesichter bekannt und in dem Fall war es für mich auch einfach interessant mal herauszufinden, woran es eigentlich liegt. Was ist jetzt hier überhaupt das Problem? Ich habe dann auch angefangen eben diesen Arztsprech aus den Befunden eben mal so zu analysieren, weil der Ordner mit den Befunden, der ist ja schon recht dick und groß. Und darüber konnte man noch wirklich schon sehr, sehr viel, auch im Internet, herausfinden. Da war ich eigentlich überrascht, dass da die Datenlage, was jetzt, sage ich mal, diese ganzen Krankheiten und die Werte, die dahinterstehen und so weiter angeht, im Internet auch wirklich relativ gut auch einsehbar ist.  

Mario D. Richardt: Welche Auswirkungen hat denn die Krankheit jetzt auf Euren Alltag, auf Euer Leben? Was kannst Du machen, Vic? Was kannst Du nicht machen? Wo fühlst Du Dich eingeschränkt? 

Vic: Also grundsätzlich würde ich erst mal sagen, ich kann alles machen, natürlich mit Einschränkungen. Autofahren zum Beispiel mache ich nicht mehr, aufgrund meiner Sehkraft und der Augenproblematik.  

Mario D. Richardt: Hast du aber damals erstmal einen Führerschein gemacht? 

Vic: Genau, da ging das mit meinen Augen noch. Ja, ansonsten brauche ich halt mehr Pausen, mehr Ruhe, so dieses bis morgens um sechs feiern gehen ist halt auch nicht drin. 

Mario D. Richardt: Weil Dir die Kraft fehlt?  

Vic: Ja, weil ich dann halt auch zu müde bin oder so.  

Conrad: Also Fatigue ist natürlich auch so ein Thema bei ihr, also dass das dann natürlich das Durchhaltevermögen in der Form nachlässt. Vic ermüdet eben auch relativ schnell und naja, man braucht dann eben doch häufiger mal eine Pause sozusagen. Das ist, glaube ich das, was Du damit meintest, oder? 

Vic: Genau.  

Mario D. Richardt: Wie gehen Deine Freunde mit der Krankheit um? Nehmen die jetzt besonders Rücksicht?  

Vic: Nein gar nicht, aber das will ich auch gar nicht. Also ich will ja ganz normal leben, wie jeder andere auch. Manchmal ist es halt nur problematisch, das wird einem ja nicht angesehen, was man für Probleme hat, zum Beispiel das mit meinen Augen, das räumliche Sehen. Andere sehen ja nicht, dass ich Probleme habe beim Treppensteigen oder was ins Glas zu gießen oder Kerzen anzuzünden. Das sind ja so Sachen, die sieht keiner und die kann sich ja auch gar keiner vorstellen.  

Mario D. Richardt: Und die wundern sich dann eben, nanu ist doch ein junges Mädel, warum hat sie jetzt da Probleme?  

Vic: Genau.  

Conrad: Ja, Kerzen anzünden ist eigentlich so ein ganz gutes Beispiel. Also wenn sie dann mal versucht, mit dem Stabfeuerzeug ein Teelicht anzuzünden, dann landet sie kategorisch immer hinter dem Teelicht, weil eben das räumliche Sehen fehlt. Also man kann sich das so vorstellen: Wenn man sich ein Auge zuhält und versucht dann irgendwie so ein Stuhlbein zu treffen oder so. Das gelingt vielen Leuten auch nicht auf Anhieb und das ist bei ihr dann eben der Alltag sozusagen, ne? 

Mario D. Richardt: Bist Du dann in diesen Situationen dann extrem genervt von der Situation oder nimmst Du es mit Humor? 

Vic: Manchmal bin ich schon genervt davon, dass es halt nicht so funktioniert wie bei anderen, aber ich bin damit groß geworden, sage ich jetzt einfach so, und man hat halt gelernt damit umzugehen und damit klarzukommen.  

Mario D. Richardt: Wie hast Du Dein Leben umgestellt? Also machst Du jetzt deutlich mehr Sport? Ich bin ja bei Euch in der Wohnung eingeladen und ich sehe hier sehr viele Sportgeräte. Hier ist ein Pezziball, hier ist ein kleines Trampolin, Hula-Hoop-Reifen. 

Vic: Genau, also meine Fußheberschwäche war 2018 so schlimm, dass ich keine 400 Meter mehr weit gehen konnte. Dann war ich zur Reha und habe da halt gemerkt, dass man mit Ernährung und Sport sehr viel machen kann. Das habe ich beibehalten und meine Fußheberschwäche hat sich deutlich verbessert. Dadurch ist Sport jetzt ein sehr wichtiger Punkt.  

Mario D. Richardt: Ist das so ein tägliches Thema oder dreimal die Woche? 

Vic: Ja. Ne, eigentlich schon täglich, wenn keine anderen Termine sind.  

Mario D. Richardt: Und Conrad passt auf, dass Du es machst? 

Conrad: Ich pass auf, dass sie nicht vom Trampolin fällt. So viel Platz ist ja nicht ums Trampolin drumherum.  

Mario D. Richardt: Wie ist es mit der Ernährung? Du hast gesagt, auch da achtest Du besonders drauf. Das heißt, wahrscheinlich sehr, sehr wenig Zucker kann ich mir vorstellen, sehr viel Gemüse? 

Vic: Genau, also wir essen viel Fisch, viel Gemüse, wenig Fleisch und wenig tierische Produkte.  

Mario D. Richardt: Wie ist es mit dem Zucker? 

Vic: Also so in der normalen Ernährung versuche ich schon auf Zucker zu verzichten. 

Mario D. Richardt: Conrad lacht.  

Conrad: Ja, ich lach deshalb, weil Vic ganz gern Süßes ist. Das ist natürlich ein bisschen contra dem, was sie gerade gesagt hatte. 

Vic: Ja, bei Kuchen und Eis kann ich natürlich nicht verzichten.  

Conrad: Wenn wir jetzt kochen zum Beispiel oder, auch ja, hauptsächlich beim Kochen eigentlich, da versuchen wir schon fleischarm eben oder eigentlich kochen wir fleischlos. Also wir essen jetzt nicht absichtlich vegetarisch, aber es hat sich eben so entwickelt, dass wir eben doch kein Fleisch mehr brauchen zum Essen sozusagen. Also es muss nicht immer die Bratwurst dabei sein oder das Schnitzel. Das kriegt man auch sehr gut auf andere Art und Weise hin. Aber wie gesagt, bei Eis und bei Süßkram ist die Versuchung manchmal doch ein klein bisschen zu groß.  

Mario D. Richardt: Das heißt, Du ermahnst sie auch manchmal? 

Conrad: Ne, ich mach fleißig mit. Ich ess auch gern Eis und Süßes, aber es ist natürlich ungesund in dem Zusammenhang, das weiß man auch. Und es ist ja auch belegt, dass, sage ich mal gerade Zucker und die falschen Fette da eine große Rolle spielen. Aber im Großen und Ganzen kann man, glaube ich, schon sagen, dass die MS da auch zu beigetragen hat, dass eben unsere Ernährung sich dahingehend entwickelt hat, wie sie sich momentan eben darstellt.  

Mario D. Richardt: Aber auch diese Umstellung der Ernährung führt auch dazu, dass Du ja ein relativ normales Leben führen kannst? 

Vic: Genau.  

Mario D. Richardt: Was für Medikamente, wie viele nimmst Du jetzt momentan?  

Vic: Zwei.  

Mario D. Richardt: Und das lässt sich gut händeln, das ist keine große Einschränkung? 

Vic: Ja, ich nehme täglich eine Tablette und alle sechs Monate eine Infusion.  

Mario D. Richardt: Es gab ja früher mal die Befürchtung, dass man mit MS später mal zwangsläufig im Rollstuhl landet. Hast Du irgendwann mal daran gedacht oder ist das gar kein Thema?  

Vic: Anfangs schon. Als das mit meiner Fußheberschwäche noch so schlecht war, hatte ich natürlich auch Angst, dass es noch schlechter wird, aber jetzt, wo ich gemerkt hab, dass man mit Sport viel machen kann und, dass es dadurch auch besser wird, habe ich da eigentlich keine Angst mehr vor, weil ich gemerkt habe, wie ich mich aus einem doch eigentlich schlechten Zustand wieder aufgepäppelt habe. Ich denke, man kann eigentlich mit Sport da viel machen, wenn man dranbleibt.  

Conrad: Ja, das schafft halt viel Kraft, wenn man eben merkt, dass man das selbst, glaube ich, ein Stück weit mit beeinflussen kann und das ist, glaube ich, auch viel von Deinem Antrieb, oder?  

Vic: Genau.  

Conrad: Gerade was so Sport und Bewegung angeht ist das ein großer Motor gewesen. Also gerade auch die Zeit nach der Reha, also vorher warst Du ja auch gar nicht so intensiv mit Sport unterwegs, hat sich ja danach praktisch erst so entwickelt. Und dann aber richtig sozusagen. Und man konnte wirklich dabei zuschauen, wie eben diese, gerade diese Gehschwierigkeiten über diese langen Strecken, sage ich mal, wie die Strecken an sich auch immer wieder ein Stückchen länger wurden. Jetzt bist Du, glaube ich, bei ungefähr, was schaffst Du jetzt? 

Vic: Zwei Kilometer.  

Conrad: Und wo man dann so merkt, okay, jetzt ist es hier irgendwann auch vorbei, dann braucht man eben ein bisschen Unterstützung. Also es reicht schon, wenn man sie dann an die Hand nimmt oder wenn sie einen Gehstock benutzt oder eben Deine Orthesen, die Du mitbekommen hast.  Das hilft auch schon dabei eben doch Ängste abzubauen. 

Mario D. Richardt: Was möchtet Ihr denn anderen sagen, die vielleicht jetzt in diesen Tagen, in diesen Wochen, Monaten mit der Diagnose konfrontiert werden? 

Vic: Im ersten Moment ist es ein Schock und es gibt vielleicht auch immer wieder Rückschläge, neue Schübe, was einen zurückwirft und schlechte Gedanken bringt, aber es geht immer weiter. Es gibt viele Möglichkeiten, dass der Zustand auch wieder besser wird und, dass man ein ganz normales Leben damit führen kann.  

Mario D. Richardt: Und Du hast mir vorher gesagt, das ist auch ein ganz wichtiger Tipp, dass Menschen, die gerade frisch die Diagnose bekommen, ihr Leben nicht von der MS bestimmen lassen sollen, sondern versuchen ein ganz normales Leben zu führen. Conrad, hast Du noch ein Tipp?  

Conrad: Ja, das ist halt eine Krankheit, die sehr individuell ist und wo es wahrscheinlich auch eine Zeit braucht, bis man da wirklich auch einen Therapieansatz gefunden hat, der eben für denjenigen gut funktioniert. Und es gibt eben auch die Medikamente, die denjenigen dann wahrscheinlich auch weiterhelfen. Man sollte sich einfach nicht aus der Ruhe bringen lassen, da eben Dinge auch einfach Zeit brauchen.  

Mario D. Richardt: Vic und Conrad, ich danke Euch sehr für Eure Einblicke.  

Vic: Bitte.  

Conrad: Gerne.