Jede:r Zweite von uns ist chronisch krank. Sprechen wir darüber. In insgesamt 11 Podcastfolgen geht es um die große Volkskrankheit Diabetes. Wir führen Sie durch jede Phase der Krankheit, damit Sie immer gut informiert sind. In dieser Folge geht es um Diabetes mellitus Typ 1. Willkommen beim Podcast Chronisch Mensch.

Dr. med. Tobias Wiesner                                                              

Ärztlicher Leiter, Diabetologe & Endokrinologe am MVZ Stoffwechselmedizin in Leipzig             

Transkript der Folge Diabetes Typ 1

Mario D. Richardt: Dieses Mal geht es um die seltenere Form des Diabetes, den Typ 1. Als Experte ist Dr. Tobias Wiesner an meiner Seite, er ist Diabetologe und Endokrinologe mit einer Praxis in Leipzig. Schönen guten Tag, Dr. Wiesner.  

Dr. Tobias Wiesner: Schönen guten Tag.  

Mario D. Richardt: In Deutschland ist es ja so, dass über sieben Prozent der 18- bis 79-Jährigen an Diabetes mellitus erkrankt sind, davon rund 90 bis 95 Prozent an Diabetes Typ 2. Was unterscheidet denn Diabetes Typ 1 vom deutlich häufigeren Diabetes Typ 2?  

Dr. Tobias Wiesner: Der Typ 1 Diabetes ist eine Erkrankung, die damit einhergeht, dass durch verschiedenste Prozesse, ich werde es gleich noch benennen, die eigene Insulinproduktion kaputtgeht. Das heißt, der Patient mit einem Typ 1 Diabetes produziert durch einen sogenannten autoimmunen Prozess, das heißt, der Körper erkennt versehentlich die Bauchspeicheldrüse als etwas Fremdes und möchte sie versuchen loszuwerden, Antikörper dagegen. Diese Antikörper führen dann dazu, dass die eigene Bauchspeicheldrüse nicht mehr genügend Insulin produzieren kann. Das heißt, der Patient hat tatsächlich irgendwann eine komplett erloschene Bauchspeicheldrüse, sprich Betazellen, sprich Insulinfunktion und kann den Glukosewert im Blut nicht mehr regulieren, weil er kein Insulin hat.  

Mario D. Richardt: Ich habe gelesen, dass Diabetes Typ 1 oft erst erkannt wird, wenn schon 80 Prozent der insulinproduzierenden Zellen zerstört sind, denn dann treten erst die ersten Symptome auf. Gibt es nicht so eine Art Früherkennung?  

Dr. Tobias Wiesner: Das ist leider das Fatale an der Situation, die Bauchspeicheldrüse kann ja sehr viel Insulin produzieren, wenn wir Glukose essen. Das heißt, wenn der Blutglukosewert ansteigt, wird ganz viel Insulin produziert. Aber über den von mir erklärten Verlust der Betazellfunktion kann nicht mehr ausreichend Insulin produziert werden und es kommt es dann dazu, dass, wenn ich Glukose esse in einer ganz frühen Phase des Typ 1 Diabetes, noch ein bisschen Insulin nachgeschoben wird, nachgeschoben wird, nachgeschoben wird. Das heißt, die Betazelle presst alles aus sich raus, was sie kann und die Glukosewerte sind noch leidlich in Ordnung. Es fällt ja nicht auf, man merkt ja keine Schmerzen, wenn der Blutzuckerwert hoch ist und dann ist es so, wenn die Betazelle wirklich gar nicht mehr kann und die Blutzuckerwerte über ganze Zeit zu hoch sind, dassder Patient symptomatisch wird. Dann treten die Symptome auf, die uns zur Diagnose führen. So einfach ist es also nicht, weil es relativ schnell geht, der Verlust der Betazellen. Also da reden wir über wenige Wochen im Vergleich zum Typ 2 Diabetes. Das heißt, dieser schnelle Verlauf, Patient wird müde, wird abgeschlagen, muss ganz viel Wasser lassen, muss ganz viel trinken, um einfach den Blutglukosewert zu verdünnen, ist etwas, was sehr schnell gehen kann. Das heißt, so ein wichtiges Vorwarnsymptom gibt es nicht, aber die Symptome, die ich benannt habe, die würden schon dazu passen, eine schnelle Diagnose zu stellen. also häufiges Wasser lassen, Durst und auch Gewichtsverlust. Das sind so Symptome, die auftreten, die einfach was mit den hohen Blutglukosewerten zu tun haben.  

Mario D. Richardt: Und das schon binnen weniger Wochen? 

Dr. Tobias Wiesner: Genau, binnen weniger Wochen,im Vergleich zum Typ 2 Diabetes, wo zwischen Auftreten der Erkrankung und diagnostizieren der Erkrankung manchmal Jahre vergehen, weil das so ein ganz, ganz schleichender Prozess ist. Wenn ich aber nicht mehr ausreichend Insulin produzieren kann, schaffe ich es nicht, die Glukose in die Zelle hinein zu transportieren und in der Zelle muss aus der Glukose schließlich Energie bereitgestellt werden. Es ist so, wenn das Insulin nicht ausreicht, beim Typ 1 Diabetes, der Zucker also vor der Zelle liegt, wir sagen manchmal so umgangssprachlich, die Zelle verhungert bei gedecktem Tisch, es ist genügend Blutglukose da, aber da Öffner Insulin in die Zelle hinein funktioniert nicht, heißt das, das geht relativ schnell. Das sind also wirklich wenige Wochen, drei bis vier, maximal sechs Wochen. Manchmal ein bisschen länger, aber nichtsdestotrotz ist das ein sehr schneller Verlauf. Und da auf den Patienten aufmerksam zu werden, ist was ganz Wichtiges, ihn zu diagnostizieren und nicht zu sagen, die Müdigkeit ist, weil zu wenig geschlafen, et cetera, et cetera. Also das sind so Symptome, die nicht eindeutig sind, die man aber im Blick behalten muss.  

Mario D. Richardt: Das heißt, es gibt also auch keinen Marker, der es vorher irgendwie anzeigen könnte?  

Dr. Tobias Wiesner: Also es gibt keinen klassischen Marker, der uns eine Typ 1 Erkrankung anzeigen kann. Man kann natürlich versuchen die Autoantikörper zu messen, aber das ist jetzt so ein bisschen schwierig. Die Autoantikörper sagen, es besteht das Risiko für eine Erkrankung, das heißt aber nicht, dass es der Beweis dafür ist, dass diese Erkrankung auftreten muss.  

Mario D. Richardt: Und das macht man ja auch nicht so zwischendurch mal zum Spaß.  

Dr. Tobias Wiesner: Das macht man nicht zwischendurch zum Spaß, A kostet es Geld, B ist die Frage, welche Konsequenz leitet sich daraus ab. Wir haben bei uns in der Diabetesfachgesellschaft durchaus einige Bestrebungen bei Patienten, die unter Risiko für ein Typ 1 Diabetes sind, das heißt, Kinder von Typ 1 Diabetes Eltern, dass es da so ein sogenanntes Risikoscreening geben wird. Dass man also nach den Antikörpern schauen kann und da so ein bisschen eine Prognose machen kann. Das Risiko steigt, je mehr Elternteile, sind üblicherweise zwei, an einer Typ 1 Erkrankung tatsächlich auch erkrankt sind. Dass man da das Risiko mit ablesen kann, ist aber etwas, was wir gerade auch wissenschaftlich in der Fachgesellschaft untersuchen und es dadurch einige Kollegen gibt, die da schon sehr viele Daten gesammelt haben und ich denke, in naher Zukunft wird einiges an Empfehlungen auf uns zukommen, wie häufig man diese Messung der Autoantikörper machen soll. Eine Routinemessung der Autoantikörper im Alltag steht leider in keinem Verhältnis. Wir hatten über eine sehr seltene Erkrankung ja gesprochen, also knapp 400.000 auf unsere 80 Millionen. Bei allen die Antikörper zu messen wäre tatsächlich übertrieben, aber wir müssen die Risikopatienten identifizieren und was mir als Arzt, praktischer Arzt im Alltag sehr viel wichtiger ist, ist auf die Risikosymptome zu achten, um dem Patienten schnell eine Diagnostik zuzuführen und ihn therapeutisch anzugehen. Wenn ich nur Antikörper habe, habe ich aber noch nicht wirklich etwas in der Hand. Es gibt viele Überlegungen, aber es gibt noch keine etablierte Methode, einen Typ 1 Diabetes zu verhindern.  

Mario D. Richardt: Sie könnten es also gar nicht stoppen, selbst wenn Sie es wissen würden, dass da jetzt wirklich was passiert in die Richtung?  

Dr. Tobias Wiesner: Aktuell nicht, es gibt ganz spannende Experimente, was man machen kann, aber das ist derzeit noch Zukunftsmusik Ich hoffe nahe Zukunftsmusik.  

Mario D. Richardt: Welche Ursache hat denn die Erkrankung? 

Dr. Tobias Wiesner: Also es ist sicherlich so, dass es eine genetische Grundkomponente gibt, sonst hätten wir nicht die Aussage oder die Erkenntnis, dass es bei Kindern von Diabetes Typ 1 Eltern zu erhöhter Häufigkeit kommt oder dass es in bestimmten Familien sehr viel mehr Typ 1 Patienten gibt. Also die genetische Grundkomponente gibt es sicher. Da ist immer die Frage, wie aktiviert sich denn dieses Gen zum Typ 1 Diabetes? Es gibt ja Geschwister, die einen haben nie einen Diabetes Typ 1 bekommen, die anderen haben den Typ 1 Diabetes schon im frühen Kindesalter, das kann man noch nicht so wirklich sagen. Also da müssen wir noch sicherlich einige Erkenntnisse, einige wissenschaftliche Erkenntnisse abwarten. Das auslösende Moment, und das ist ja so ein bisschen die Frage der Situation, hat sicherlich was mit dem Immunsystem zu tun. Eine Aktivierung des Immunsystems, sei es durch einen ganz trivialen Effekt,  auch durch Infekte, kann zu einer Manifestation des Typ 1 Diabetes führen. Hier muss man unterscheiden, was ursächlich ist, also kausal oder eher das auslösende Moment? Auch da ist man wissenschaftlich noch nicht einig, ob zum Beispiel eine Infektion mit einer Erkrankung, wir haben jetzt über die Coronaviruserkrankung gesprochen, da gibt es sehr widersprüchliche Daten weltweit, zu einem Anstieg des Typ 1 Diabetes führt. Die einen sagen so, die anderen so. Wir müssen die Zahlen der nächsten Wochen, Monate noch abwarten. Wir sehen immer mal wieder, dass Epidemien, wie Grippeepidemien vor einigen Jahren, plötzlich zu mehr Typ 1 Diabetes Diagnosen zu geführt haben, aber wie gesagt, ich glaube nicht, dass das ursächlich ist, sondern einfach die Aktivierung des Immunsystems. Ein autoimmuner Prozess wird natürlich auch durch äußere immunmodulatorische Experimente oder Situationen angestoßen und dann ist es sicherlich so, dass es zum Ausbruch der Typ 1 Erkrankung kommt.  

Mario D. Richardt: Welches Alter ist denn so das typische Diabetes Typ 1 Alter? Ist das am häufigsten in der Kindheit oder tritt Diabetes Typ 1 doch eher später auf?   

Dr. Tobias Wiesner: Also früher hat man ja unterschieden, Typ 1 Diabetes der kindliche Diabetes und der Altersdiabetes, der Typ 2 Diabetes. Inzwischen haben wir diese Nomenklatur ein wenig verlassen, weil wir einfach gesehen haben, es stimmt sowohl für den Typ 2 nicht mehr, kein Typ 2 Patient der 40 ist, möchte als Altersdiabetes bezeichnet werden, aber auch wir sehen, dass es mehr Kinder oder mehr Jugendliche gibt, die einen Typ 1 Diabetes bekommen. Das heißt, es verschiebt sich so ein bisschen, also auch nach oben. Die Domäne ist tatsächlich Kinder und frühes Jugendalter bei Manifestation des Typ 1 Diabetes, aber auch ich als Internist habe mich durchaus überraschen lassen bei Patienten, die deutlich dem Kindheitsalter entwachsen waren und neu einen Typ 1 Diabetes bekommen haben. Ich referenziere mal sehr, sehr gerne auf meinen ältesten Patienten, der neu manifestiert einen Typ 1 Diabetes hatte. Der war 84 Jahre und bekam einen Typ 1 Diabetes und freute sich sehr, als ich gesagt habe, er hätte jetzt einen jugendlichen Diabetes.  

Mario D. Richardt: Übrigens, in der neunten Folge dieser Podcastreihe geht es ausschließlich noch mal um Diabetes Typ 1 bei Kindern. Wie wird denn aber Diabetes Typ 1 diagnostiziert? Die Patienten kommen zu Ihnen, haben vielleicht die Symptome, viel Wasser lassen in der Nacht, trockenen Mund, kommen zu Ihnen: „Ja Herr Dr. Wiesner, ich habe die Befürchtung hier, ich habe einen Diabetes“. Wie geht es dann weiter?  

Dr. Tobias Wiesner: Das ist eigentlich sehr unkompliziert zu messen. Da stehen uns in den Praxen die Messmethoden ganz unkompliziert zur Verfügung. Einerseits, ich habe ja hohe Blutzuckerwerte und wenn ich einen hohen Blutzuckerwert habe, scheide ich über den Urin Glukose aus. Das heißt, einer der entspanntesten Messungen wäre einfach einen Teststreifen in den Urin reinzuhalten und wenn ich Glukose drin habe, was beim Gesunden nie passiert, dann habe ich die Diagnose Diabetes, denn ich habe die sogenannte Nierenschwelle überschritten. Damit habe also den Nachweis erhöhter Blutglukosewerte.  

Mario D. Richardt: Da wissen Sie ja noch nicht, ist es 1 oder 2? 

Dr. Tobias Wiesner: Genau und dann muss ich natürlich noch den Blutzucker messen, schauen, ob der Blutzucker erhöht ist. Damit habe ich die zweite einfache Möglichkeit und das entspannte ist, in dem Urinteststreifen messe ich nicht nur die Glukose, sondern messe auch einen anderen Parameter im Urin, die sogenannten Ketonkörper. Ketonköper ist immer das, was übrig bleibt, wenn ich nicht mithilfe von Insulin Glukose verstoffwechsle. Also früh morgens, wenn wir aufwachen, die berühmten Hungerketone. Wir haben alle einfach positive Ketonkörper, wenn wir morgens aufwachen. Wenn ich eine Neudiagnose eines Diabetes mellitus Typ 1 stelle, dann messe ich tatsächlich im Urin die Ketonkörper mit und wenn der absolute Insulinmangel aufgetreten ist, dann kommt es tatsächlich dazu, dass ich auch diese Ketonkörper in hohen Konzentrationen im Urin messen kann, also zweifach, dreifach positiv, wenn man das quantitativ macht. Das ist so die einfachste Unterscheidung, um zu diagnostizieren und dann kommen natürlich die Laboruntersuchungen. Bei diesen Laboruntersuchungen, die ich dann machen kann, messe ich nicht nur den Langzeitblutzuckerwert, sprich den HbA1c-Wert, sondern, wenn ich einen Verdacht auf einen Typ 1 Diabetes habe, dann messe ich die Antikörper. Die Antikörper für den Diabetes Typ 1 sind verschiedenste, also ich kann zwei, drei, vier verschiedene Antikörper messen. Üblicherweise werden aktuell drei verschiedene Antikörper empfohlen, um einfach die Vorhersage für tatsächliches Vorliegen eines Typ 1 Diabetes zu treffen.  

Mario D. Richardt: Wie sehr unterscheidet sich denn die Behandlung zwischen 1 und 2? 

Dr. Tobias Wiesner: Also üblicherweise ist es ja so, dass der Typ 1 Diabetes, wie ich gesagt habe, gar kein Insulin mehr produziert. Das heißt, dieser Patient ist durch die Erkrankung, durch diesen schnellen Verlust der Betazellfunktion, also der Insulinproduktion in der Bauchspeicheldrüse, in einem absoluten Insulinmangel. Da geht leider nichts anderes als Insulin. Also ich muss das ersetzen, was fehlt. Es gibt leider kein anderes Hormon im Körper, was uns zum Senken des Blutzuckers verhilft, es ist nur das Insulin. Und wenn dieses Hormon fehlt, ich habe kein Insulin, dann ist es tatsächlich so, da muss ich Insulin geben. Beim Typ 2 Diabetes, und das ist ja das Schöne, der hat ja einen relativen Insulinmangel, das Insulin kommt vielleicht zur falschen Zeit oder das Insulin wirkt nicht richtig. Hier kann ich mit anderen Medikamenten, sprich mit Tabletten ansetzen und mit Tabletten versuchen das Insulin, was in der eigenen Bauchspeicheldrüse des Typ 2 Patienten noch produziert wird, wirken zu lassen. Aber beim Typ 1 Diabetes habe ich leider keine andere Chance als nur mit Insulin zu behandeln. Das Spannende ist, es kommt immer in der Anfangsphase der Behandlung, sprich der Neumanifestation und Therapie dann darauffolgend, zu einer sogenannten Honeymoon-Phase. Die Honeymoon-Phase, also die Honigmondphase, die wir ja von diversen Hochzeitsflitterwochen kennen, ist tatsächlich so, dass die Bauchspeicheldrüse sich erholt. Von außen kommt jemand und unterstützt die eigene Produktion der Bauchspeicheldrüse, die kann sich also für einen Zeitraum erholen, das ist diese Honeymoon-Phase. Das heißt nach initialer Therapieeinstellung braucht der Patient erst mal weniger Insulin, manchmal sogar gar keins. Also das habe ich auch in meiner Laufbahn schon erlebt, dass Patienten ihren Alltag so gestalten, dass sie mit wenig bis gar keinem Insulin zurechtkommen. Aber diese Honeymoon-Phase ist tatsächlich eine endliche Phase, weil der Verlust der Betazellfunktion, also der Insulinproduktion schreitet leider voran. Das heißt, ein Patient mit einem Typ 1 Diabetes muss mit Insulin behandelt werden. Nichtsdestotrotz, und das hatten wir ja in anderen Therapien auch in der Empfehlung, gehört dazu auch über die Bewegung nachzudenken. Ich unterstütze auch das von außen gespritzte Insulin mit eigener Bewegung. Ich kann das Insulin auch insofern modulieren, in dem ich weiß, was ich esse, wie viel ich esse, ob es die guten oder die schlechten Kohlenhydrate sind, so es diese auch gibt. Das werden wir sicherlich beantwortet bekommen und ich kann auch versuchen, mit Abstimmen der Mahlzeitenanzahl versuchen Einfluss zu nehmen auf meine Glukosewerte. Das ist etwas, was natürlich auch beim Typ 1 Diabetes eine wichtige Rolle spielt, über den Alltag, den Lebensstil und die Ernährung reden.  

Mario D. Richardt: Wie lang kann denn diese Honeymoon-Phase sein, diese Flitterwochen? Reden wir jetzt wirklich von 14 Tagen, wie in der Realität oder kann das durchaus auch mal ein halbes Jahr sein?   

Dr. Tobias Wiesner: Also das ist durchaus länger. Also man kann von so einer  Honeymoon-Phase im Schnitt so durchaus von drei, bis sechs Monaten ausgehen, in denen deutlich weniger Insulin produziert wird. Man kann ja so ein bisschen, und jetzt verrate ich ein kleines Geheimnis, aus dem Gewicht des Patienten ungefähr die Insulindosis berechnen. Gibt es einen kleinen Korrekturfaktor. Damit sieht man das, wenn ein Patient mit deutlich weniger Insulin zurechtkommt, die Bauchspeicheldrüse also noch ausreichend produziert. Man kann das aber auch, und die Anekdote erzähle ich immer gerne, weil die mich sehr beeindruckt hat, die Honeymoon-Phase verlängern, indem man einfach so ein bisschen schaut, wie komme ich im Alltag mit den Dingen, die ich esse, wie mit dem Sport, den ich mache, zurecht? Und ich habe mal einen jungen Mann gehabt, der hatte leider das große Unglück, was für ihn wirklich ein Unglück war, bei seinem Studium zum Sportlehrer, einen Typ 1 Diabetes bekommen und er hat gesagt, ne, Insulin spritzen, dass das in seinem Selbstverständnis nicht vorkommt. Er ist ein gesunder Mensch und diesen gesunden Menschen unterstützt man ja auch und er hat versucht den Alltag so zu gestalten, dass er so gegessen hat, dass seine Glukosewerte nicht ansteigen, so, dass seine Bauchspeicheldrüse mit übermäßigen Kohlenhydraten auch nicht belastet wird und er hat ausreichend Sport gemacht. Das hat er ganz schön lange hingekriegt, diese Honeymoon-Phase. Und der hat das tatsächlich, und jetzt lasse ich diese Zahl tatsächlich fallen, zwei Jahre geschafft in der Honeymoon-Phase zu bleiben, kam dann aber nach den zwei Jahren zu mir und sagte, er würde dann doch gerne jetzt Insulin anfangen, weil 12 Stunden Sport am Tag, das ist ganz schön viel. Er kriegt das Studium nicht mehr eingebaut.  

Mario D. Richardt: Aber grundsätzlich muss man das quasi, außer jetzt der Patient, nicht übertreiben. Wir reden hier nicht von dreimal Marathon pro Woche, sondern wir reden schon davon, einfach mal ein bisschen mehr Bewegung in den Alltag mit einzubauen. Oder muss man wirklich jetzt fünfmal die Woche eine Stunde Sport machen?  

Dr. Tobias Wiesner: Also Sport ist immer gesund, das werden wir an vielen Stellen über gesunde Bewegung, gesund Ernährung, gesundes Verhalten, gesunden Lebensstil ja immer wieder hören. Nichtsdestotrotz ist mein Appell, auch ein Typ 1 Diabetes soll ein normales Leben ermöglichen. Das ist ja die Aufgabe, die wir gemeinsam mit dem Patienten im Diabetesteam haben, mit ihm eine Therapieform zu finden, dass er sein Leben gestalten soll. Nicht der Typ 1 Diabetes soll sein Leben gestalten, sondern der Patient soll sein Leben mit dem Typ 1 Diabetes gestalten. Dafür haben wir viele neue Möglichkeiten, technische Möglichkeiten, therapeutische Möglichkeiten, die einem Leben, und das ist ja unsere Anforderung, so normal wie möglich ermöglichen sollen.  

Mario D. Richardt: Und darüber sprechen wir im Übrigen auch noch mal in der kommenden Folge. Da geht es nämlich um Leben mit Diabetes. Jetzt aber noch mal explizit zu Diabetes Typ 1, wie oft muss man denn da Blutzucker messen?  

Dr. Tobias Wiesner: Also das Schöne ist, die Blutzuckermessung ist etwas, was beim  Typ 1 Diabetes in den letzten Jahren durch eine neue technische Möglichkeit unterworfen ist, denn wir haben seit ein paar Jahren die Glukosesensoren. Das heißt, das sind so kleine zwei Euro, manchmal auch kleiner, große Sensoren, die auf die Haut aufgebracht werden, mit einer ganz winzigen Nadel, die, man merkt das Stechen wirklich nicht, in die Unterhaut, also das sogenannte subkutane Fett, eingestochen wird und die dort den Gewebezucker messen. Diesen Gewebezucker messen sie 24/7, also 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Dann gibt es verschiedene Systeme, wie dieser Gewebe-Glukosewert übertragen wird, entweder aufs Handy oder auf ein Messsystem, welches mit diesem Gerät kommuniziert. Das macht es ständig und das sind die sogenannte Echtzeitsysteme, real time Systeme, und die haben auch den großen Vorteil, dass diese Echtzeitsysteme auch den Glukosewert übermitteln, wenn er mal zu niedrig ist oder zu hoch ist, das heißt, diese geben auch Alarme ab. Ein Unterschied ist, und das ist mir vielleicht wichtig an dieser Stelle, ich vermeide ja das Wort Blutglukose, sondern ich sage Glukose. Es ist tatsächlich ein Unterschied, ob die Gewebeglukose gemessen wird oder die Blutglukose. Die unterscheiden sich ein bisschen und das ist im Alltag manchmal nicht ganz so einfach zu unterscheiden. Insbesondere, wenn der eine Wert, also der Blutglukosewert schnell ansteigt oder schnell abfällt, dann kann die Gewebeglukose ein bisschen hinterher hängen. Das versuchen die Systeme noch mathematisch mit einem Algorithmus zu korrigieren, nichtsdestotrotz muss man das wissen. Aber das ist das Schöne aktuell, Patienten haben mit diesen aktuellen Systemen, diesen Glukosesensoren einen schnell verfügbaren Zugriff auf ihre Glukosewerte. Üblicherweise, und das ist ja die initiale Frage gewesen, haben wir Patienten früher gesagt, er sollte mindestens fünfmal am Tag messen und fünfmal am Tag blutig messen, das ist schon ein Aufwand.  

Mario D. Richardt: Das nervt auch ein bisschen, immer dieses Pieken dann in den Finger.  

Dr. Tobias Wiesner: Ja.  

Mario D. Richardt: Also wirklich, tolle Innovation, gefällt mir richtig gut und letztendlich fällt ja damit auch ein Risikofaktor weg, nämlich die Unterzuckerung, weil man ja automatisch diesen Alarm dann bekommt, oder?  

Dr. Tobias Wiesner: Also die Frage ist, ob es automatisch wegfällt. So ist es nicht ganz. Also es ist ja so, dass diese Glukosesensoren die Unterzuckerung anzeigen, sprich auch akustisch hörbar machen, auch auf dem System anzeigen, aber da fängt wieder der Alltag unserer Patienten an. Wie klug ist es, dass in einer Situation, wo jetzt wirklich nichts passierten darf, also von außen keine Störung kommen kann, so ein Alarm losgehen kann? Stellen Sie sich vor, Sie sind Steuerberater in einem Beratungsgespräch, ganz wichtige Klienten reden über ganz viel Geld mit Ihnen und plötzlich piept es und Sie gucken aufs Handy und müssen darauf schauen. Also das habe ich alles schon erlebt, dass auch Alarme ausgestellt werden, weil sie einfach in den Alltag nicht reinpassen oder weil der Partner nachts nicht gestört werden möchte, von dem System, was immer piept, weil der Glukosewert zu hoch oder zu niedrig geht. Also das ist tatsächlich so eine Unterscheidung, aber es ist eine große Hilfe. Wir können es deutlich minimieren, wir können es deutlich reduzieren und wir können, und das ist auch das Wichtige, die Angst vor der Unterzuckerung nehmen. Wir hatten ja schon darüber gesprochen, dass die Therapie des Typ 1 Diabetes eine ist, die mit Insulin geführt wird. Insulin senkt den Blutzucker, leider hört das Insulin nicht auf zu wirken, wenn der adäquate Glukosewert erreicht ist, sondern sinkt auch weiter. Das heißt, eine Unterzuckerung ist ein prinzipielles Risiko in der Therapie mit Insulin. Wenn die Patienten jetzt aus Angst vor der Unterzuckerung weniger Insulin spritzen, als eigentlich gut wäre, dann haben sie nicht die Chance eine Unterzuckerung zu bekommen, aber auch nicht die Chance auf einen adäquaten, guten Glukosewert zu kommen. Das ist jetzt mit diesem neuen System tatsächlich einfacher geworden, dass man die Angst vor der Unterzuckerung nehmen kann und die Messung dieser Glukosewerte dann dazu führt, dass ich mich doch eher in den Normbereich hinein bewegen kann.  

Mario D. Richardt: Jetzt waren Sie gerade schon bei dem Beispiel, wenn Fremde eben mit dabei sind, in so einer Situation der Unterzuckerung oder vielleicht auch Überzuckerung, halten Sie es für sinnvoll, dass man, Freunde werden es bestimmt wissen, Familienmitglieder sowieso, dass man Kollegen zum Beispiel einweiht oder Bekannte über die Situation, damit die wissen, was zu tun ist im Fall der Fälle? 

Dr. Tobias Wiesner: Also ich halte es für ganz wichtig, dass der Patient mit denen, denen er vertraut, auch über seine Erkrankung spricht, weil die Erkrankung, wie geschildert, ja mit Unterzuckerung einhergehen kann. Unterzuckerung ist etwas, was keiner von uns erleben möchte, weder der Patient noch ich als Gesunder möchte eine Unterzuckerung tatsächlich erleben, denn die Sorge vor dem Kontrollverlust ist etwas, was uns ja solche Situationen vermeiden lässt. Insofern ist es im vertrauten Kontext was ganz, ganz wichtiges, mit dem Partner, auch mit den Freunden zu reden. Wenn ich einen Kollegen habe, von dem ich weiß, dass er mir hilft, dann macht das Sinn diesen zu instruieren. Und natürlich, und das habe ich in der Zeit als Diabetologe auch oft genug erlebt, gibt es einen Kontext, wo man nicht wirklich den netten Kollegen bei sich sitzen hat und der Kollege auch eher keine Hilfe wäre und dass man auch ausgegrenzt wird. Ich möchte das böse Wort mobben nur ungern verwenden, aber auch das habe ich erlebt, dass Patienten Glukosewerte deswegen höher haben einstellen lassen, weil sie partout keine Unterzuckerung auf Arbeit erleben wollten, weil das wäre ein Grund gewesen, durch die Hölle zu gehen oder sogar gekündigt zu werden. Auch das habe ich erlebt.  

Mario D. Richardt: Also wird Diabetes Typ 1 oftmals auch vor Kollegen verschwiegen?  

Dr. Tobias Wiesner: Also immer mal wieder. Es ist natürlich an unserer Aufklärung, zusammen mit der Patientenorganisation darüber aufzuklären, dass Typ 1 Diabetes ja keine Charakterschwäche ist, sondern Typ 1 Diabetes ist eine Erkrankung, für die ein Patient nichts kann, genetisch fixiert. Insofern ist diese Typ 1 Erkrankung etwas, was man behandeln kann, was man gut behandeln kann. Die technischen Möglichkeiten, die therapeutischen Möglichkeiten sind gut, das macht überhaupt keinen Sinn, jemanden dafür auszugrenzen, sondern er ist integrierbar. Er ist ein genauso wertiges Mitglied, wie jeder andere auch, der diese Erkrankung nicht hat. Insofern ist es wichtig, Patienten mit Typ 1 Diabetes auch aktiv am Leben teilnehmen zu lassen und sie nicht auszugrenzen.  

Mario D. Richardt: Dann lassen Sie uns noch mal über die Behandlung sprechen. Wir reden ja über das Insulin spritzen, aber es gibt ja auch die berühmte Insulinpumpe. Wie funktioniert die und für wen ist die besser geeignet?  

Dr. Tobias Wiesner: Also, die Therapie des Typ 1 Diabetes ist ja Insulin und wir teilen das Insulin so in das kurz wirksame Insulin ein, was zur Mahlzeit gespritzt wird, also kurz wirkt, und wir brauchen das Insulin natürlich auch, auch wenn wir nicht essen. Wir brauchen Insulin, damit Zucker in die Zelle hineinkommt. Unsere Leber speicher Zucker und setzt ihn frei, auch unsere Muskeln haben Zucker undsetzen ihn frei und ich brauche immer etwas Insulin, damit diese in die Zellen hineinkommen kann. Das decken wir üblicherweise mit dem basalen Insulin ab. Basales Insulin wird ein, maximal zweimal am Tag gespritzt und deckt so diese basale Versorgung ab. Das heißt, basales Insulin ist immer dann adäquat eingestellt, dass, wenn der Patient den ganzen Tag nichts essen würde, der Glukosewert trotzdem konstant ist. Das ist eine adäquate, gute basale Einstellung. Und die Insulinpumpe macht aber noch etwas sehr viel Spannenderes: Unsere Bauchspeicheldrüse beim Gesunden produziert Insulin tatsächlich nicht nur in Abhängigkeit der Glukosegehalt der Mahlzeit, welche wir essen, sondern auch in Abhängigkeit der Tagesrhythmik. Das heißt früh morgens, kurz vor dem Aufstehen schütte ich etwas mehr Insulin aus, weil ich brauche ja gleich Glukose, was in die Zelle hineinkommen kann, um diesen furchtbaren schweren Anforderungen des Tages gerecht zu werden. Das geht ja immer mit Energieverbrauch einher, also wird früh morgens mehr Insulin ausgeschüttet, nachmittags ein bisschen weniger, nachts noch viel weniger und das baut eine Insulinpumpe nach. Diese Insulinpumpe gibt also eine sogenannte Basalrate ab, da wird dieser Tag so in 24 Integrale zerlegt und zu jeder Stunde wird dann noch mal unterteilt, alle drei Minuten eine Dosis abgegeben, sodass ich die basale Sekretion, also die basale Ausschüttung des Insulins aus der Bauchspeicheldrüse, nachbaue. Wenn der Patient dann etwas isst, dann gibt es die Generation zwei, drei, der Insulinpumpen, bei denen der Patient dann sagen muss, dass er etwas isst und dann wird zusätzlich Insulin aus dieser Insulinpumpe für die Mahlzeit abgegeben. Dann gibt es neuere Generationen von Insulinpumpen, die reden schon mit dem Glukosesensor. Das heißt, die sehen, wenn der Blutzuckerwert ansteigt, ohne Mahlzeit zum Beispiel, dann wird mehr Insulin abgegeben, wenn der Blutzucker abfällt, der Glukosesensor also sagt, demnächst kommt eine Unterzuckerung, dann stellt sich die Insulinpumpe ab und gibt auch einen Alarm ab, sodass diese ganz hohen Werte und die ganz tiefen Werte verhindert werden. In der aktuellen Generation ist es immer noch so, dass die Patienten sagen müssen “Ich esse jetzt was”, geben dann ungefähr die Kohlenhydrate ein, die sie essen und dann errechnet die Pumpe aus der Wirkung des noch vorhandenen Insulins und anderen äußeren Rahmenbedingungen, wie viel dann abgegeben werden muss.  

Mario D. Richardt: Man muss also schon rechnen, sozusagen vorher? 

Dr. Tobias Wiesner: Der Patient sollte im Vorfeld schon rechnen gelernt haben, lernen, was Kohlenhydrate bedeutet, was auf seinem Teller liegt, um es der Pumpe zu sagen. Aber der Algorithmus hat schon einprogrammiert bekommen, um diese Uhrzeit braucht der Patient ungefähr so viel Insulin pro Gramm Kohlenhydrate. Das ist also in diesem Algorithmus, in dieser Pumpe schon enthalten. In der Perspektive wird es so sein, dass die Insulinpumpe das dann schon am Anstieg des Blutzuckerwertes berechnen kann, also dass es völlig automatisiert abläuft. Das wird was total Spannendes sein. Stellen wir uns einfach nur vor, wie wäre es denn, wenn zum Beispiel eine kluge Uhr, also die berühmte Smartwatch, an meinem Handgelenk sagt, wow, Du hast jetzt so und so viele Schritte gemacht, Du hast Dich bestimmt bewegt oder Du bist gelaufen, oder Du bist Fahrrad gefahren, das rechne ich jetzt mal mit ein, denn ich glaube, der Blutzuckerwert wird abfallen und passt das dementsprechend an. Also diese smarten Systeme, die man auch AID-Systeme nennt, also automatische Insulindosissysteme, die werden schon die Zukunft werden beim Typ 1 Diabetes.  

Mario D. Richardt: Und die werden alle miteinander kommunizieren. Da geht es ja auch um Herzschlag, was ja auch schon getrackt wird und um Schlafphasen sogar.  

Dr. Tobias Wiesner: Definitiv ist das etwas, was man alles mit einbinden kann. Das ist natürlich auch die Frage, und das ist eine Diskussion, die wir immer wieder mit unseren Patienten führen, also ein Gespräch, keine Diskussion, gebe ich mich der Technik hin? Die Frage ist, was habe ich bisher alleine entschieden und was gebe ich an eine Technik ab. Ich glaube, mit sehr viel Verständnis für die Technik kann man sich durchaus in dieses System hineinbewegen. Wenn jemand große Zweifel hat, dann finden wir auch andere Therapiemöglichkeiten. Man darf nicht vergessen, dass die Insuline sich ja auch deutlich gebessert haben über die letzten Jahre. Wir haben Insuline gehabt, die haben früher ewig lange gewirkt, sodass der Patient also noch gegen die Wirkung des Insulins anessen musste. Und jetzt haben wir ganz fixe, schnelle Insuline, die tatsächlich nur die Mahlzeit abdecken und wir deswegen kaum noch Unterzuckerung im Rahmen der Mahlzeit bei der Insulindosisabdeckung sehen.  

Mario D. Richardt: Also auch daran wird noch weiter geforscht.  

Dr. Tobias Wiesner: Definitiv. Wir werden ein sogenanntes Smart Insuline bekommen. Ich komme ganz beseelt gerade von einem Diabeteskongress, wo wir diese neuen Insuline auch gesehen haben, die tatsächlich irgendwann abschalten, wenn der Blutzuckerwert zu tief ist. Was ich vorhin gesagt habe, was man tatsächlich derzeit nicht hat. Das wird es perspektivisch mit neuen Insulinen irgendwann mal geben. Noch nicht gleich morgen und übermorgen, aber irgendwann bestimmt.  

Mario D. Richardt: Was denken Sie so ungefähr, wann so alles ganz modern wird? In fünf Jahren vielleicht, so als Zeitraum?  

Dr. Tobias Wiesner: Die große Frage habe ich dem vortragenden Kollegen aus der Grundlagenforschung gestellt und der sagte, ich solle ihn nicht festnageln, er sagt bestimmt nicht in drei, vier, fünf Jahre, wasl alles sein wird. Also ich kann es nicht sagen, aber wenn diese Systeme auf solchen Kongressen vorgestellt werden, dann dauert es nicht mehr 10 Jahre, ich sage es jetzt einfach mal so.  

Mario D. Richardt: Wo trägt man denn diese Insulinpumpe? Ist die wie eine Manschette am Oberarm, steckt die in der Jackentasche? Wo hat man die?  

Dr. Tobias Wiesner: Die Insulinpumpe ist relativ klein, also früher hat man gesagt, mit dem Handy, da sind die Handys wieder größer geworden, also insofern können Sie sich das vorstellen, wie vielleicht eine doppelte Streichholzschachtel-Größe, so ungefähr. Da muss eine Insulinampulle hereinpassen und dann die Batterie. Dann werden diese Insulinpumpen am Körper getragen und da habe ich alles schon gesehen. Männer tragen die manchmal sehr dominant am Gürtel, sodass jeder sieht, dass er eine Insulinpumpe hat. Ich habe auch diverse Patientinnen schon gesehen, die durchaus der Jahreszeit entsprechend sehr schmale, enge Sachen anhatten und ich habe nicht gesehen, wo sie die Pumpe tragen, also man kann die schon gut verstecken. Da diese Pumpen üblicherweise mit einem Katheter versorgt sind, ist die Stelle des Tragens nicht unbedingt die Stelle da, wo der Katheter auch das Insulin in die Unterhaut injiziert. Das macht es ja kontinuierlich, deswegen kann man über einen Katheter auch diese Katheterstelle und die Insulintragestelle voneinander trennen. Da habe ich, wie gesagt, vieles schon erlebt und Katheterlängen gibt es lang, von wenigen Zentimetern bis fast einen Meter,da kann man schon viel unterschiedliche Tragestellen haben.  

Mario D. Richardt: Wie ich das heraushöre ist die Pumpe, die bessere Wahl oder doch lieber Spritzen? Für wen ist was geeignet?  

Dr. Tobias Wiesner: Also Sie fragen natürlich jetzt jemanden wie mich, der eine hohe Affinität zur digitalen Diabetestechnologie hat und ich bin seit vielen, vielen Jahren ein Insulinpumpendiabetologe. Ich kriege auch immer wieder Patienten überwiesen, mit der expliziten Frage von den Kollegen, dass ich ihn auf eine Insulinpumpe einstellen soll. Was nicht heißt, die anderen Kollegen machen es nicht aber wir machen wirklich viele Insulinpumpen hier bei uns. Deswegen habe ich schon eine hohe Affinität zu einer Insulinpumpe, weil sie aus meiner Sicht bei einem gut aufgeklärten, gut geschulten Patienten mehr Freiheit bietet, auch weil der Patient, der normalen, also der Physiologie der Insulinausschüttung, deutlich näherkommt. Insbesondere in letzter Zeit, wenn ich einen Glukosesensor kopple, mit einer Insulinpumpe, dann habe ich natürlich auch diesen Automatismus der Verhinderung von zu hohen und zu niedrigen Werten. Also insofern macht das durchaus Sinn mit einer Insulinpumpe. Aber wir haben alle auch Patienten, die eine Insulinpumpe nicht tragen wollen odernicht tragen können. Beim Tragen wollen, nichts an meinem Körper haben zu wollen, habe ich volles Verständnis, das kann auch ganz normal mit einem Insulinpen kurz oder einem Insulinpen basal gehandhabt werden. Oder Patienten könnenes auch nicht am Körper tragen.. Es gibt durchaus manche Berufe, wo die Patienten häufig die Kleidung wechseln müssen, dann ist es auch so, dass man diese Pumpe nicht tragen kann und natürlich ist es manchmal auch nervig eine Insulinpumpe zu tragen, weil, man muss immer auf den Katheter achten. Aber auch da haben wir Patienten, die durchaus wechseln, also die zwischen Insulinpumpe und Pensystem hin und her wechseln. Da machen wir durchaus mal Pausen der Insulinpumpe. Also Insulinpumpenpause ist etwas, was Patienten dann auch immer mal machen.  

Mario D. Richardt: Muss man ein Leben lang spritzen? 

Dr. Tobias Wiesner: Derzeit noch ja. Wir haben im Augenblick keine Alternative zur Insulingabe, außer der Insulinspritze oder der Insulinpumpe. Es gibt natürlich auch beim Typ 1 Diabetes so die biologische Lösung, das heißt Insulin produzierende Zellen, also Pankreaszellen, Betazellen zu transplantieren. Das wird nicht so häufig gemacht aber da haben wir hier in Sachsen natürlich eine ausgeprägte Expertise. Bei den Kollegen in Dresden, die machen diese Inselzelltransplantation. Das ist für manche Patienten durchaus eine heilsame Situation, da die tatsächlich dann Insulinfrei sind, da muss man Patienten sehr gut selektieren, weil es ist ja immer eine Inselzelle, die dann Insulin produziert, die dann durchaus von jemand fremden kommt. Das heißt, die ganze Immununterdrückung, wie bei jeder Organtransplantation spielt eine Rolle Aber man muss, wie gesagt, in der aktuellen Situation davon ausgehen, dass die allermeisten Typ 1 Diabetes Patienten unter aktuellen Rahmenbedingungen ihr Leben lang Insulin spritzen müssen.  

Mario D. Richardt: Dann haben Sie gesagt, Sport ist durchaus förderlich, bei jedem Diabetes Typ, aber wenn ich jetzt so eine Pumpe habe, kann ich damit auch schwimmen gehen?  

Dr. Tobias Wiesner: Das ist eine gute Frage, also manch eine Insulinpumpe hatte bis vor wenigen Jahren noch die Wasserdichtigkeit attestiert bekommen. Ich glaube, die könnten das heutzutage immer noch, aber da gibt es immer so juristische Bedenken, bei solchen Hightechsystemen, ob man die mit ins Wasser nehmen kann. Prinzipiell ist es ja so, dass die Wirkung von Insulin, wenn ich es injiziere, einfach durch diese Pharmakokinetik, sagen wir dazu, im subkutanen Fettgewebe durchaus mindestens eine Stunde, eineinhalb Stunden ist. Das heißt, die Patienten könnten auch eine Pause machen, von der Insulinpumpe, die Pumpe ablegen, sich noch mal so den Bolus für die nächste halbe oder für eine Stunde geben und dann kann man problemlos eineinhalb, zwei Stunden Insulinpumpenpause machen. Das reicht für das meiste Schwimmen ja eigentlich aus.  

Mario D. Richardt: Vielen Dank, Dr. Wiesner.  

Dr. Tobias Wiesner: Vielen Dank.