Jede:r Zweite von uns ist chronisch krank. Sprechen wir darüber. In insgesamt 11 Podcastfolgen geht es um die große Volkskrankheit Diabetes. Wir führen Sie durch jede Phase der Krankheit, damit Sie immer gut informiert sind und heute geht es in der fünften Folge um die Konsequenzen, die durch Diabetes entstehen können, die Begleit- und Folgeerkrankungen und die haben es leider in sich. Willkommen beim Podcast Chronisch Mensch. 

Dr. Cornelia Woitek                                                        

Fachärztin für Innere Medizin und Diabetologie mit diabetologischer Schwerpunktpraxis in Wurzen.

Transkript der Folge Begleit- und Folgeerkrankungen bei Diabetes

Mario D. Richardt: Wie schwer die Erkrankungen sein können, die Diabetes oftmals mit sich bringt, ob man sie vermeiden kann und mit welchen Verläufen man rechnen muss, darüber spreche ich nun mit Dr. Cornelia Woitek. Sie ist Diabetologin. Schönen guten Tag.  

Dr. Cornelia Woitek: Guten Tag, vielen Dank, dass ich hier sein darf.  

Mario D. Richardt: Vielen Dank, dass Sie Zeit für mich haben. Warum ist es denn so wichtig, den Blutzucker richtig einzustellen? 

Dr. Cornelia Woitek: Der Blutzucker ist natürlich ein Parameter der Zuckerkrankheit, deshalb muss er schon ganz gut eingestellt werden aber Sie merken schon an meinem ganz gut, dass wir auf anderes auch noch Wert legen. Der Blutdruck, der Blutfettwert und der Blutzucker spielen alle eine Rolle, also deshalb nicht wundern, wenn Sie beim Diabetologen sind, dass der auch auf andere Sachen guckt als nur auf den Blutzucker.  

Mario D. Richardt: Wenn es da Probleme gibt und da ist irgendwas falsch eingestellt ist, dann kann es eben auch zu schwereren Folgeerkrankungen oder Begleiterkrankungen kommen. Wie stellen Sie denn auch den Blutzucker richtig ein, damit es keine akuten Stoffwechselentgleisungen gibt?  

Dr. Cornelia Woitek: Also Stoffwechselentgleisungen sind nicht nur für den Patienten schlimm, weil eine Unterzuckerung, aber auch ein sehr hoher Blutzucker sich wirklich sehr, sehr schlecht aufs Befinden auswirkt. Es ist wichtiger, dass wir im Zielbereich bleiben. Wir sagen immer so 70 Prozent der Werte sollten im Zielbereich sein, dabei muss man natürlich erst mal gucken, wo denn mein Zielbereich ist. In den meisten Fällen, auch sehr individuell natürlich, wäre das zwischen fünf und 11 Millimol pro Liter als spontan Blutzucker. Diesen Wert wollen wir, wie gesagt, zu 70 Prozent erreichen, weil wir studienmäßig wissen, dass es so am wenigsten Folgeerkrankungen gibt. Es gibt auch noch den HbA1c-Wert, das wissen Diabetiker, weil wir da immer danach fragen. Das ist der Langzeitwert im Blut, der ungefähr die letzten sechs Wochen abbildet. Auch der sollte individuell bestimmt werden. Dazu gibt es ein Diabetespass der DDG, also der Deutschen Diabetesgesellschaft und da sollten Sie als Patient darauf drängen, dass der Hausarzt,der Augenarzt und  alle behandelnden Ärzte die Werte mit eintragen-. Da sollen auch die Zielwerte mit herein. Es ist also ganz wichtig, dass Sie zum Beispiel von Ihrem Arzt gesagt kriegen, Ihr Zielwert für den Langzeitzucker HbA1c wäre 6,5 bis 7,5 oder auch bis 8,5, höher sollte er nie sein, egal wie alt Sie sind.  

Mario D. Richardt: Also ganz wichtig für das richtige Einstellen ist eine gute Statistik, dass man wirklich alles aufschreibt? 

Dr. Cornelia Woitek: Ja, das ist sehr wichtig. Wir haben natürlich heute die Möglichkeit viele Messgeräte auszulesen, das ist also etwas sehr Schönes und erspart das Aufschreiben und Ihre Mühe. Ansonsten hat das Aufschreiben den Vorteil, dass Sie da auch ruhig mal herein schreiben können: “Da hatte ich eine Unterzuckerung”, “da hatte ich einen Überzucker” oder “dort war es mir nicht gut”, “dort habe ich erbrochen” oder so etwas. Aber das kann man heute in gute Messgeräte auch schon eingeben. Also es ist immer die Frage, welche technische Ausstattung Sie wünschen und brauchen..  

Mario D. Richardt: Das eine ist das Aufschreiben und das Einstellen der Blutzuckerwerte, das andere ist ja auch die aktive Mitarbeit der Betroffenen. Wie können Diabetes erkrankte die Gefahr für schwere gesundheitliche Konsequenzen selbst reduzieren? 

Dr. Cornelia Woitek: Diabetes ist eine Erkrankung, von der ich froh bin, dass sie nicht wehtut, denn hohe Werte müssten manchmal wehtun und niedrige auch, dann würde sich sicher mancher noch mehr Mühe geben mit seinen Werten. Andererseits ist das eine Erkrankung, bei der man selber ungeheuer viel beitragen kann, damit es eben nicht zu schlimmen Dingen kommt. Man sollte also schauen, dass man wirklich im Zielbereich ist, und das kann ich durch Lebensstiländerung. Das ist so ein allgemeiner Begriff, ja und das nervt auch, wenn ich sage, dass Sie sich vielleicht ein bisschen sich mehr bewegen oder Sie ein bisschen anders essen sollten. Da greift man in sehr private Dinge ein in der Sprechstunde und das kann manchmal sehr schulmeisterlich wirken. Aber man muss für sich selber sagen, ich tue etwas für mich, ich kann hier etwas tun. Bei dieser chronischen Erkrankung kann ich eingreifen. Es gibt viele Erkrankungen, wo wir nicht als Patienten selber sagen können, dass ich hier selbst etwas ändern kann,, sondern ich einfach nur das befolgen, was der Arzt sagt. In diesem Fall kann ich selber meinen Alltag kreativ gestalten, sodass er einfach gesünder wird. Und es gelten ja Diätrichtlinien, die wir heute ja gar nicht mehr so nennen, sondern Ernährungsrichtlinien, die ja für Patienten aber eben auch für jeden gesund sind. Das ist also nichts, was jetzt abartig ist und eine reine Diabetesdiät oder so was, die gibt es eigentlich heutzutage gar nicht mehr.  

Mario D. Richardt: Aber werden Sie auch sehr konkret Ihren Patienten gegenüber, dass Sie sagen: „Jetzt höre mal zu, lieber Patient, wenn Du jetzt nicht ab sofort 10.000 Schritte am Tag läufst, dann passiert das und das“?  

Dr. Cornelia Woitek: Ja, wobei so eine Drohgebärde bringt ja nichts, das muss man immer wieder sagen. “Du darfst nicht” und “Du musst” und “Du solltest” sind eigentlich Begriffe, die tun eigentlich dem Menschen nur weh, weil auch wer sehr übergewichtig ist, hat ja Gründe, warum er das ist. Und das ist auch meistens nicht von heute auf morgen gekommen, sondern ist eine Entwicklung in seinem Leben und dabei muss man, glaube ich, gemeinsam suchen, was der Auslöser war. Warum ist die Lebensgewichtskurveauf einmal mal so entglitten? Und wenn wir es dann ein bisschen humorvoll nehmen, dann sage ich immer: „Sie sind einfach zu groß geworden für Ihre Bauchspeicheldrüse oder die Bauchspeicheldrüse ist zu klein geworden“, das kann man ein bisschen lustig machen. Aber ansonsten geht es darum zu finden, was ist umsetzbar. Ich kann zum Beispiel nicht sagen: „Machen Sie jetzt Sport“ und der Mensch hat sich seit 20 Jahren wirklich nur noch zwischen Fernbedienung und Briefkasten bewegt. Das ist eine Sache, die muss man ablehnen als Patient, weil man sagt, das passt für mich nicht oder ich habe ein ganz hohes Übergewicht und ich soll schwimmen gehen, aber schäme mich schon mich vor dem Arzt auszuziehen. Dann muss man immer wieder sagen nein und wir müssen Lösungen finden, die für den Patienten individuell umsetzbar ist. Und nur dann wird es eine gedeihliche Sache und auch eine langfristig erlebbare Sache.  

Mario D. Richardt: Aber manchmal hilft ja auch so ein Warnschuss, um den Schalter beim Patienten im Kopf umzulegen, oder? 

Dr. Cornelia Woitek: Ja, wobei ich denke, wir haben  sehr viele Möglichkeiten uns zu informieren, zum Beispiel auch aus so einem Podcast. Viele Menschen wissen bereits sehr viel. Biologie achte Klasse, kommt der Mensch dran, ich glaube, das hat sich auch heute nicht geändert. Das, was man über sich selber weiß, ist aber häufig schon lange her und es gibt da sicher Nachholbedarf. Ernährung wird leider in der Schule nicht gelehrt, worauf wir immer wieder Wert legen. Ich drohe allerdings ungerne mit den Folgeerkrankungen. Wir müssen ja immer auch unterscheiden zwischen Folge- und Begleiterkrankung, da kommen wir sicher nachher noch mal drauf. Aber diese Drohung, dass man sicher einen Herzinfarkt bekommt, wenn es so weitergeht, ist, glaube ich, wenig zielführend. Das ist so ähnlich, wie auf den Zigarettenpackungen auch steht “Sie kriegen Lungenkrebs” und trotzdem rauchen die Leute weiter und schauen sich das an und sagen: “Für mich trifft das nicht zu, der Nachbar vielleicht, aber ich doch nicht”. Deshalb muss man immer schauen, inwieweit man aufklärt, das ist wichtig. Man muss wissen, was einem passieren kann, Und womit man rechnen muss aber dann muss der Mensch selber entscheiden, wohin es geht.  

Mario D. Richardt: Wie hoch ist denn die Wahrscheinlichkeit für Folgeerkrankungen bereits im Vorstadium, also im sogenannten Prädiabetes? 

Dr. Cornelia Woitek: Wir haben sehr viele Patienten, die bereits eine sogenannte Neuropathie, also eine Nervenschädigung haben. Wir haben auch Patienten, die haben vorher schon eine Nierenerkrankung durch den Diabetes bekommen, obwohl sie noch gar nicht richtig erkrankt sind, weil, und da kommen wir jetzt auf diesen Begriff metabolisch vaskuläres renales Syndrom, ein Riesenbegriff,  eben viele Organe mit betroffen sind. Metabolisch, also stoffwechselmäßig, heißt, wenn der Stoffwechsel nicht gut ist, dann sind eben auch die Gefäße und die Nieren vielfach betroffen. Und wenn die Gefäße betroffen sind, sind Herz und Hirn, bezwihungsweise die Erfolgsorgane, auch von der Überzuckerung betroffen. Das sind Dinge, bei denen man sehr vorsichtig sein muss, damit man rechtzeitig Folgeerkrankungen erkennt. Deshalb gibt es ja auch in Sachsen diesen Check-up Plus von der AOK zum Beispiel, wo man so etwas auch miterfasst und auch erfasst, ob bereits die Eltern erkrankt sind ? Dann habe ich, wenn ich zwei Eltern habe, die ein Diabetes mellitus Typ 2 hatten, 60 Prozent Risiko es auch zu bekommen. Nun muss man in die Vorsorge gehen und möglichst zeitig schauen, ob schon Folgeerkrankungen einer noch nicht erkannten Erkrankung da sind.  

Mario D. Richardt: Kann man das tatsächlich verhindern? Wenn man weiß, zum Beispiel die Mutter hatte Diabetes mellitus Typ 2, kann ich dann als Betroffener verhindern, dass ich das bekomme und das Risiko noch weiter senken?  

Dr. Cornelia Woitek: Ja natürlich, das ist ja das Schöne, das hatte ich vorhin gesagt. Das Gute an dieser Erkrankung ist, wenn ich also sage, ich achte auf mein Normgewicht, ich achte auf meinen Blutdruck, ich achte darauf, dass ich wirklich mich gut bewege und viel bewege, dann habe ich alle Chancen sie auf jeden Fall hinauszuzögern, wenn nicht gar zu verhindern. Es ist also kein Schicksal, dass ich sagen muss, kriege ich sowieso und mich nur wieder hinsetze und die Bockwurst esse und sage:, “Ist halt so”, sondern ichwirklich sagen kann: “Nein, ich habe eine Chance etwas gegen dieses Schicksal, was ich ererbt habe, man erbt ja immer die schlechten Dinge, zu tun. 

Mario D. Richardt: Wir werden auf jeden Fall gleich konkreter sprechen, also direkt über die Begleit- und Folgeerkrankungen, aber vorher eine ganz wichtige Frage. Gibt es immer Begleiterkrankungen oder Folgeerkrankungen oder kann man auch Glück haben und sein Leben ganz normal weiterleben?  

Dr. Cornelia Woitek: Ja, das wünschen sich natürlich alle Patienten und wir haben ja früher immer nur, und da muss ich jetzt ein bisschen ausholen, immer von diesen zwei oder drei Diabetestypen gesprochen, 1, 2, 3.Die Forschung ist jetzt so weit, dass sie wahrscheinlich noch viel differenzierter in den Typologien ist. Im Moment gilt das noch für Deutschland, aber es wird sicher in den kommenden Jahren so sein, dass wir schon besser klassifizieren können, welches Risiko dieser eine Mensch wirklich hat eine bestimmte Folgeerkrankung zu kriegen? Und braucht dieser Mensch vielleicht wirklich Insulin oder braucht er es nicht? Die Therapie wollen wir ja heute nicht besprechen, aber das sind die Dinge, wo es schon weit in die Forschung geht. Es gibt wirklich gesunde Diabetiker, die einfach erhöhte Blutzuckerwerte haben ohne Folgeerkrankungen und ohne Begleiterkrankungen. Das sind sicher nicht sehr viele, aber wenn ich zum Beispiel genau weiß, ich neige dazu eine sogenannte Retinopathie zu bekommen, also eine Augenerkrankung durch den Diabetes, da sprechen wir von mikrovaskulären Erkrankungen, also die kleinen Gefäße sind da betroffen, dazu gehört auch noch das Fußsyndrom, das ist auch eine mikrovaskuläre Erkrankung und die Nierenerkrankung durch den Diabetes, dann kann ich mich natürlich dort mehr in die Vorsorge begeben. Und wenn mein Risiko eben mehr in den großen Gefäßen liegt, also für makrovaskulären Erkrankungen, dann habe ich eben ein höheres Schlaganfall- oder ein höheres Herzinfarktrisiko und das sind dann wieder Dinge, bei denen ich auch dort schauen muss, ob ich eben noch eher zur Fußuntersuchung gehe oder die großen Gefäße schallen lasse, am Hals zum Beispiel.. Das sind dann alles Sachen, bei denen ich also ganz speziell in die Vorsorge gehen kann.  

Mario D. Richardt: Da gehen wir jetzt gerade auch schon ins Detail.  

Dr. Cornelia Woitek: Ja.  

Mario D. Richardt: Was kann Diabetes im Körper anrichten und wenn man mal draufguckt, dann ist es ja sozusagen wirklich ein kleines Portfolio des Schreckens. Wir gucken also zuerst mal auf die Begleiterkrankungen. Womit muss man da rechnen? Sie haben vorhin schon gesagt, der große Überbegriff lautet metabolisches Syndrom.  

Dr. Cornelia Woitek: Ja, also metabolisches Syndrom heißt eigentlich nur, dass wir die Stoffwechselerkrankungen betrachten. In Sachsen wurde der Begriff auch noch erweitert, als metabolisch vaskuläres Syndrom. Das hat Professor Hanefeld inauguriert und da sagen wir eigentlich noch mehr, dass eben die Gefäße mit betroffen sind und dabei können es eben die kleinen und die großen sein und je nachdem sind dann die Folgen zu erwarten. Das ist alles, ich sage mal, nicht das, was ein Mensch haben möchte, daher ist Portfolio des Schreckens schon richtig Man muss es nicht alles bekommen und man kann bei sehr vielen Dingen wirklich vorbeugen. Wir haben eine sehr gute Studienlage, was die großen Gefäße betrifft, also die makrovaskulären Erkrankungen, da gibt es sehr gute vorbeugende Medikamente, die nebenbei den Zucker senken, aber heute schon viel mehr für die Niere beispielsweise tun oder eben das Schlaganfall- und Herzinfarktrisiko reduzieren können. Auf der mikrovaskulären Strecke haben wir weniger Medikamente, aber  sehr gute Vorsorge. Zum Beispiel der diabetische Fuß, der Bedarf der wirklichen Aufmerksamkeit des Menschen. Das kommt häufig zu kurz, weil der Mensch fühlt an den Füßen nichts mehr oder falsch. Das ist sehr schwer vorzustellen, auch für jemanden, der kein Diabetiker ist, aber schon für den Patienten ist es schwer zu verstehen, dass er vielleicht ein Kribbeln in der Nacht hat, in den Füßen, aber es nicht mehr spürt, wenn er sich eine Blase läuft, er einen Nagel im Schuh hat oder wenn er die Füße an die Heizung hält und aufeinmal merkt er, er hat eine Riesenbrandblase. Das sind also Dinge, Missempfindungen oder Fehlempfindungen, bei denen ich vorsorgen kann. Da muss ich eben nicht mit der großen Zehe gleich in die Badewanne fahren und gucken, ist das Wasser heiß, ich fühle es ja nicht. Stettdessen nehme ich ein Badethermometer oder inspiziere jeden Tag meine Füße Habe ich eine kleinste Wunde? Habe ich irgendetwas, was dort nicht in Ordnung ist? Und dann eben nicht warten, bis ich in vier Wochen mal den regulären Arzttermin habe, sondern wissen, jetzt muss ich zum Arzt gehen, das muss ich zeigen, auch wenn es eine Bagatelleverletzung ist, denn hier gibt es Schutz und Fürsorge für den Fuß, dass es eben zum Beispiel nicht zu einer großen Amputation kommen muss.  

Mario D. Richardt: Das ist also das diabetische Fußsyndrom. Das ist ja schon eine direkte Folgeerkrankung und da kann es ja auch Geschwüre geben, richtig? Solche, die richtig tief ins Gewebe hineinreichen und auch den Knochen schädigen. Muss man da befürchten, dass dann amputiert werden muss? 

Dr. Cornelia Woitek: Heutzutage wünschen wir und schaffen es auch Major-Amputationen zu vermeiden. Major heißt, dass ich die Extremität, also den Fuß zum Beispiel ganz amputieren muss, dass ich unterhalb des Knies, oberhalb des Knies amputieren muss. Das war vor vielen Jahren gang und gäbe. Heute hat man manchmal Minoramputationen, das heißt, dass man wirklich nur ein Endglied eines Zehs wegnehmen muss, also eine kleine Amputation, wo dann wirklich die Infektionen drinsitzt, wo also nur noch zerstörtes Gewebe, nur noch zerstörter Knochen ist. In den meisten Fällen kann man aber eine Amputation verhindern. Natürlich haben wir weiterhin hohe Amputationszahlen, das hängt aber auch damit zusammen, dass wir natürlich auch deutlich mehr Patienten mit Diabetes habenals noch vor 20 Jahren.  

Mario D. Richardt: Und wenn Sie von hohen Amputationszahlen sprechen, ich habe mal geguckt, im Internet steht so eine Schreckenszahl von 40.000 Amputationen aufgrund von Diabetes.  

Dr. Cornelia Woitek: Ja und da muss man, wie gesagt, sehr hart unterscheiden Früher waren das fast alles Major-Amputationen, also große, sehr beeinträchtigende Amputationen oder Eingriffe in die Beweglichkeit des Menschen, das ist heute nicht der Fall. Auch der Verlust eines Zehs ist später noch gut mit dem Schuh zu versorgen. Natürlich habe ich Einschränkungen hinzunehmen,muss andere Schuhe tragen, muss wirklich diese Inspektion des Fußes jeden Tag machen, muss vielleicht auch lange Zeit zum Verbinden gehen Das möchte der Patient natürlich nicht, wer will das schon? Aber das ist Schutz vor einer großen Amputation und das können wir in vielen Fällen sehr gut leisten.  

Mario D. Richardt: Genau und 80 bis 90 Prozent der Amputationen ließen sich ja auch durch konsequente Vorsorge und fachliche Behandlung der Wunden verhindern.  

Dr. Cornelia Woitek: Ja und da drauf orten wir eigentlich die Patienten ein. Wir versuchen immer wieder zu sagen, wir wissen, dass das stressig ist.Wir haben zum Beispiel einen Patienten, der ist acht Jahre lang zum Verbinden gekommen und wir haben die Wunde zu gekriegt. Das ist eine extreme Zahl, das ist nicht bei allen so. Manchmal hat man es nach vier Wochen schon zu und das ist ja auch das, worauf man immer hofft. Aber es sind Unbequemlichkeiten, die man in Kauf nehmen muss, um den Fuß zu retten. Und wenn man sich das immer vor Augen führt, dass man sagt, sicher jetzt erst mal gehe ich doch zum Arzt undzeige das. Und da sage ich jetzt mal Arzt, das heißt der Hausarzt oder der Diabetologe, eine Fußwunde mit der Ursache Diabetes mellitius, gehört bitte nicht in die orthopädische Hand. Dort auch bitte keine Verschreibung von orthopädischen Maßschuhen, die nicht mit einer Diabetes adaptierten Fußbettung, so sagen wir, also eine spezielle für den Diabetiker gute Fußbettung, ausgestattet ist, und bitte auch nicht zum Dermatologen, also zum Hautarzt, weil die Fußambulanz sieht wirklich den ganzen Menschen und die Ursache. Das hat nichts damit zu tun, dass wir nicht gut mit Orthopäden und mit Hautärzten zusammenarbeiten würden, auf keinen Fall und wir brauchen die ganz dringend, aber mit dem Fuß, dem diabetischen Fuß, bitte zum Hausarzt zuerst und dann die Überweisung in die Fußambulanz, in die diabetologische Schwerpunktpraxis. Das ist  sehr gut strukturiert in Sachsen, wir haben ja ganz viele Schwerpunktpraxen undhaben auch gute Fußambulanzen, flächendeckend eigentlich. Auchwenn der Weg mal ein bisschen weiter ist, ich kann es Ihnen nur empfehlen.  

Mario D. Richardt: Noch mal ganz kurz zurückgesprungen, zu den Begleiterkrankungen, also jetzt hatten wir das metabolische Syndrom, das ist ja Überbegriff für Bluthochdruck, Übergewicht, Fettstoffwechselstörungen undauch da kann man ja aktiv als Patient einwirken, dass sich das bessert durch gesunde Ernährung undBewegung. Wie ist es mit dem Bluthochdruck, der ja sozusagen häufig auch einzeln auftreten kann?  

Dr. Cornelia Woitek: Ja, also das ist ein Einzelbaustein unserer Behandlung, der aber genauso wichtig ist, wie die Blutzuckereinstellung, wie der gute Lipidwert, also der, wir sagen, wenn man es kategorisieren will, ist vielleicht sogar der Blutfettwert der wichtigste, der einzustellen ist. Als Zweites folgt der Blutdruck und als Drittes manchmal erst der Blutzucker, das ist ein bisschen schwierig für den Patienten zu verstehen, der kommt in die Zuckerambulanz und dann reden wir über Blutdruck, ja? Aber das ist etwas sehr wichtiges und da haben wir auch wunderbare Medikamente und Möglichkeiten einen guten Blutdruck zu erreichen. Der sollte im Durchschnitt so 140 zu 80 Millimeter Quecksilbersäule nicht übersteigen. Natürlich in einer Stresssituation, in einer körperlichen Belastungssituation, darf das schon mal sein, aber insgesamt sollte der Blutdruck nicht zu hoch schwanken und wenn wir das gut eingestellt haben, geht es ja den meisten Menschen auch besser. Da merkt man das. Einen hohen Zucker einzustellen ist meistens nicht so bemerkbar, aber einen Blutdruck einzustellen und da muss ich sagen, wenn man nicht so sehr hoch angefangen hat mit dem Wert, dann ist es auch nicht so, dass die Therapie dann in irgendeiner Weise Nebenwirkungen hat. Und das ist ja was sehr Schönes, wenn ich wirklich morgens früh meine Tablettenpackung streicheln kann und sagen, Du hilfst mir.  

Mario D. Richardt: Dann leuchtet mir ganz rot entgehen hier quasi die Fettleber als Begleiterkrankung.  

Dr. Cornelia Woitek: Ja, das ist etwas, wo wir von dem Begriff ganz gerne ein bisschen wegkommen. Ich sage immer lieber Diabetesleber, weil Fettleber klingt einfach schrecklich, aber es ist natürlich eine Begleiterkrankung, eine Folgeerkrankung, eigentlich beides und da gibt es im Moment sehr viel Forschung, weil wir auch neue Medikamente bekommen werden, die dort sehr gut helfen werden. Ansonsten ist die Leber ein sehr widerstandsfähiges Organ, also wenn die Leberwerte hochgehen, dann muss man sie schon sehr geärgert haben und wir können der Leber immer viel Gutes tun. Das heißt auch hier wirklich sehr gut auf die Ernährung achten, wenig raffinierte Produkte essen, wenig Fertigprodukte meine ich damit undauch wenig Produkte essen, die sehr konzentriert in ihren Kohlenhydraten sind. Man sagt immer, was unsere Großmütter nicht als Essen anerkannt hätten, das sollte man auch heute nicht essen. Also es gibt so ganz simple Dinge, die man beachten sollte, das heißt also auch nicht zu viel Fruchtzucker und keine vielen Zwischenmahlzeiten, sondern einfach dreimal am Tag essen, morgens wie ein Kaiser, mittags wie ein König und abends wie ein Bettler.Dashaben auch schon unsere Großmütter gewusst.  

Mario D. Richardt: Und Sie haben es gerade gesagt, also auch Fruchtzucker ist eigentlich sehr gefährlich, gerade für die Fettleber. Im besten Falle also eher Früchte essen, die weniger Fruchtzucker haben, das sind dann also  Beeren, wie Brombeeren, Blaubeeren, Himbeeren, Erdbeeren. Die sind perfekt und dafür weniger Birnen, Bananen oderWeintrauben.  

Dr. Cornelia Woitek: Genauso und da läuft uns doch jetzt schon das Wasser im Munde zusammen, wenn Sie das so schön sagen. Aber genau das ist es, ja? Und wer dauernd Bananen isst, damit kann man Babys groß kriegen, aber das muss man als Erwachsene nun nicht zu häufig essen.  

Mario D. Richardt: Dann sprechen wir jetzt über die Folgeerkrankungen. Diabetisches Fußsyndrom haben wir im Prinzip ja schon durch, dann gibt es aber auch diabetische Retinopathie. Wie können Sie das noch mal umschreiben, damit es jeder versteht? 

Dr. Cornelia Woitek: Also das sind Gefäßschädigungen am Auge. Der Patient merkt das relativ spät, es gibt das ganz akut mit vollständigem Sehverlust, aber meistens ist es ein schleichender Prozess, dem man eigentlich nur begegnen kann, in dem regelmäßig den Augenarzt aufsucht. Nun wissen wir ja deutschlandweit, dass es Augenärzte nicht ganz so viele gibt, wie wir bräuchten, aber die regelmäßige zweijährige Konsultation beim Augenarzt sollten sein und da reicht auch der Optiker nicht. Der Optiker bestimmt zwar die Sehstärke, aber er kann den Augenhintergrund nicht beurteilen. Das Beurteilen des Augenhintergrundes macht eben der Augenarzt und da gibt es sehr gute Möglichkeiten auch hier zeitig genug zu sehen, ob das Augejetzt geschädigt ist.Was ich dabei noch machen kann, ist, und das ist jetzt ein bisschen schwierig für den Patienten auch zu verstehen, wenn ich zum Beispiel Urin beim Diabetologen noch abgebe, dann, wenn dieser Urin einen pathologischen, also einen krankhaften Befund aufweist, deutet das auch eher noch darauf hin, dass ich auch eine Schädigung an den Augen haben werde. Andersrum natürlich auch, wenn ich eine Schädigung an den Augen habe, sollte ichauf jeden Fall schauen, wie die Nierenfunktionen sind. Also hier haben wir dieses, wie gesagt, mikrovaskuläre Geschehen im Körper und da sollte man immer schauen, die Urinuntersuchung mindestens einmal im Jahr beim Hausarzt oder eben beim Diabetologen zu machen und wenn dieser Befund krankhaft ist, dann auch öfter im Jahr. Und, wenn da schon ein Befund da ist, der nicht in Ordnung ist, dann bitte auch schauen, dass ich wirklich regelmäßig meine Augenarzttermine wahrnehme.  

Mario D. Richardt: Sie haben gesagt, alle zwei Jahre, das reicht aus? 

Dr. Cornelia Woitek: Ja, wir haben früher gesagt jedes Jahr, das ist kapazitätsmäßig aber nicht zu schaffen und wir haben ja leider das Phänomen, das ist ja bei ganz vielen Menschen so der Fall, dassja immer die zur Gesundheitsvorsorgeuntersuchung oder zur regelmäßigen Untersuchung kommen, die es gar nicht so ganz nötig haben. Und die, die es sehr, sehr nötig haben, die rutschen uns häufig durch. Das ist wie mit dem Fettstoffwechsel, wo wir immer wieder das Problem haben, dass die sich am besten drum kümmern, die es so schlimm gar nicht haben und die anderen rutschen uns einfach weg.  

Mario D. Richardt: Wenn man nicht aufpasst bei den Augen, kann man ja sogar erblinden.  

Dr. Cornelia Woitek: Ja.  

Mario D. Richardt: Also als schlimmster Fall sozusagen dann. 

Dr. Cornelia Woitek: Ja und das kann auch in jüngeren Jahren passieren.Man ist dann nicht gefeit, das ist keine Erkrankung des Alters, sondern es ist wirklich eine Erkrankung, die mit dem Zucker zusammenhängt. Und wenn der auf Dauer nicht gut geführt ist, wenn der auf Dauer sehr, sehr hohe Werte hat, kann es zu einer plötzlichen Erblindung kommen und das ist etwas, wie gesagt, damit droht man ungerne, aber es ist häufig der Fall, dass es eben wirklich einen kausalen Zusammenhang hat.  

Mario D. Richardt: Wie können Sie denn auf Dauer definieren? Also haben Sie vielleicht ein Beispiel aus Ihrer Praxis, wie schnell das gehen kann im schlimmsten Fall?  

Dr. Cornelia Woitek: Das kann innerhalb von 24 Stunden passieren. Also wir haben Fälle, wo man sagt, das war immer abzusehen, dass das schiefgeht. Und dann gibt es mit Mal eine Einblutung in das Auge und das ist ja ein akuter Prozess, das ist so wie ein Schlaganfall. Das ist so wie ein Herzinfarkt, das sind also dann akute Blutungen, akute Gefäßverschlüsse und dann ist man eben von heute auf morgen blind. Natürlich versucht der Augenarzt noch sehr vieles, um diese Blutung zu stoppen, um das Ausmaß zu stoppen und und und. Da gibt es natürlich auch heute wirklich sehr gute Behandlungsmethoden, aber es kann wirklich sein, dass dort mit mal von heute auf morgen einen 70-, 80-, 90-prozentiger Sehverlust die Folge ist.  

Mario D. Richardt: Das klingt dramatisch. Dann machen wir an der Stelle weiter mit der diabetischen Neuropathie. Da geht es um Missempfindungen. 

Dr. Cornelia Woitek: Ja und da hatten wir den Fuß erwähnt, aber Neuropathie ist eben eine Nervenschädigung und die kann ja überall sein. Da gibt es also die unterschiedlichsten Erfolgsorgane, sage ich mal so, Erfolg nicht als gut, sondern Erfolg als Endstadium, das heißt, es gehören dazu zum Beispiel auch Magen-Darm-Erkrankungen, das heißt es kann dort zu Durchfällen kommen, es kann dort zu Verstopfungen kommen, es kann zu sehr, sehr viel Verdauungsbeschwerden insgesamt kommen und auch das kann ein neuropathisches Geschehen sein. Dann gibt es Störungen in der Schweißabsonderung, das ist die Sudomotorik, klingt Klasse, aber ist etwas, was nicht schön ist, weil man dann manchmal wirklich  massive Schweißausbrüche hat, gerade wenn manchmal heiß gegessen wird oder sehr viel gesessen wird, das ist so beim Kaffeekränzchen manchmal der Fall, ja? Und dann haben die Damen, die schon längst aus den Wechseljahren heraus sind, mit mal Schweißausbrüche und das liegt dann nicht an dem Eierlikör, der vielleicht da getrunken wird, sondern einfach in der Störung der Schweißsekretion. Das ist sehr unangenehm. Es ist zwar meistens ein nicht riechender Schweiß aber doch ein sehr massiver. Dann gibt es natürlich auch noch Empfindungsstörungen, die auch die Hände betreffen können. Auch gibtes dort Bindegewebsstörungen, dass also Faustschluss oder so etwas nicht mehr richtig möglich ist. Das sind die Bindegewebsstörungen. Dann gibt es natürlich auch direkte Hautveränderungen durch den Diabetes, also ganz spezielle Hauterkrankungen mit so großen Blasen zum Beispiel, die mit mal an der Haut auftreten . Dann gibt es auch richtige große Geschwüre, die am Unterschenkel auftreten können, Necrobiosis, auch das gehört zu den Folgeerkrankungen. Und wir haben, wenn wir jetzt noch mal herübergehen zu den Neuropathien und waseigentlich auch sehr schlimm ist für viele Patienten, weil es auch in jüngeren Jahren auftritt, die Potenzstörungen, die erektile Dysfunktion, die die Männer betreffen, aber auch die Lubrikationsstörung der Frau., Für letzteregibt es bloß keine Medikamente, beim Mann gibt es ja nun Gott sei Dank viele Medikamente, die dort Abhilfe schaffen. Aber es ist für das Leben der Menschen wirklich etwas sehr Schwieriges, wenn dieser Lebensgenuss dann auch wegfällt, weil eben keine Erektion mehr möglich ist.  

Mario D. Richardt: Dann sprechen wir jetzt noch mal über die Gefäßschäden und Durchblutungsstörungen.  

Dr. Cornelia Woitek: Bei Durchblutungsstörungen, fangen wir unten an und nicht oben, unten würde ich die arterielle Verschlusskrankheit benennen wollen. Das sind Gefäßverschlüsse, die an den Beinen stattfinden, wo im Laien-Sprachgebrauch das Raucherbein eigentlich das ist, ja? Die Neuropathie wäre dann das Zuckerbein, wenn man das da als Gegenpart haben will, und diese arterielle Verschlusskrankheit ist das, wenn man auch sagt Schaufensterkrankheit, dass ich also wirklich massive Schmerzen habe und je länger ich laufe, die Gehstrecke deutlich vermindert ist. Das kann bis zu wirklich sehr massiven Durchblutungsstörungen führen, die also dann auch zum Verlust von Zehen oder gar dem ganzen Vorfuß führen, wo also auch Wunden überhaupt nicht mehr heilen. Wir haben es vielfach, wenn wir den Fuß noch mal betrachten, auch mit einer gemischten Form zu tun, also eine Durchblutungsstörung und eine Nervenschädigung und dann merke ich den Schmerz nicht mehr so sehr, durch die Neuropathie. Und dann ist es meistens schon ein sehr fortgeschrittenes Stadium, wenn ich dann eine Wunde habe. Also die arterielle Verschlusskrankheit ist etwas, was im Normalfall eben sehr wehtut, aber beim Diabetiker manchmal eben nicht so wehtut und deshalb unterschätzt man die Gefährlichkeit.  

Mario D. Richardt: Und das Schlimme ist, dass viele dieser Folgeerkrankungen ja miteinander auftreten. Nicht nur einzeln, sondern wirklich als großes Potpourri und da hat das Eine Einfluss auf das andere und da sind wir nämlich auch schon beim Herzinfarkt. Das ist ja eine der häufigsten Todesursachen beim Menschen mit Diabetes.  

Dr. Cornelia Woitek:  Wir hatten vorhin schon mal den Prädiabetes erwähnt und wir haben es häufig so, dass die Patienten, die aus der Herzklinik kommen, nach dem Infarkt sagen: „Und dann habe ich auch noch ein Diabetes“ und dann sagen wir: „Nein, Sie hatten sicher schon vorher den Diabetes und der hat Ihre Gefäße kaputtgemacht und jetzt haben Sie das Resultat mit dem Herzinfarkt.“ Also es ist eben ein Gefäßstoffwechsel geschehen undwir bleiben immer noch mal bei diesem Begriff,  wo viele, viele Organe betroffen sind. Der Herzinfarkt ist heutzutage Gott sei Dank etwas, was gut behandelbar ist in den meisten Fällen.  

Mario D. Richardt: Wenn er rechtzeitig erkannt wird.  

Dr. Cornelia Woitek: Wenn er rechtzeitig erkannt wird und er nicht zu großes Ausmaß hat. Und auch hier haben wir wieder das Problem, beim Diabetiker wird der Infarkt natürlich häufig nicht richtig erkannt, weil er eben durch die Nervenschädigung auch ein verändertes Schmerzempfinden hat. Und wenn er den Schmerz, diesen Vernichtungsschmerz beim Herzinfarkt, nicht erkennt oder einfach denkt, na gut, ich habe ein Rückenschmerz, das wird nicht so schlimm sein, dann kann es eben zu spät sein und die Blutung des Gefäßes oder die Narbe am Herzen dann zu groß sein. Was dann wiederum zu einer sogenannten Herzinsuffizienz führtdas Herz an sich vom Muskel her nicht mehr gut durchblutet ist und es dort zu Rhythmusstörungen noch deutlicher Einschränkung in der Leistungsfähigkeit.  

Mario D. Richardt: Wie häufig kommt es vor, dass es einen Schlaganfall gibt? 

Dr. Cornelia Woitek: Ein Schlaganfall ist immer noch eigentlich unsere schlimmste, wenn man überhaupt eine Bewertung machen sollte, Komplikation, denn die Ausmaße sind teilweise groß. Viele Patienten sterben heute nicht mehr am Schlaganfall, aber haben eine lebenslange Behinderung oder eine lebenslange Pflegebedürftigkeit. Das Risiko ist eben doch sehr hoch, dass man bei hohem Blutdruck, bei hohem Blutfett und bei hohem Blutzucker dieses als Endresultat hat.  

Mario D. Richardt: Dann gibt es etwas, wo ich nicht gedacht hätte, dass das wirklich mit Diabetes zusammenhängt, und das sind die Depressionen.  

Dr. Cornelia Woitek: Ja, wir sagen heute, dass ungefähr 60 Prozent aller Diabetiker im Laufe ihrer Diabeteskarriere mal eine Depression bekommen.  

Mario D. Richardt: Das ist viel.  

Dr. Cornelia Woitek: Das ist sehr, sehr viel. Depressionen nehmen ja generell zu, aber man muss natürlich sagen, Diabetes ist etwas, was einen das Leben lang begleitet. Und wenn ich weiß, ich muss wirklich mein Leben lang Blutzucker messen, darauf achten, was esse ich, darauf achten, wie bewege ich mich, nicht mehr unbeschwert leben kann, dann ist das so ein Lifestyle Event, bei demman sagen muss, das ist teilweise wirklich schwer zu tolerieren. Wir haben es nicht unbedingt gleich bei Manifestation der Erkrankung mit Depressionen zu tun, sondern häufig im Laufe der Behandlung. Weil manchen natürlich erst nach einer ganzen Zeit wirklich bewusst wird, dass es sie das Leben lang begleiten wird und je schlechter der Blutzucker eingestellt ist oder auch der Blutdruck, desto eher ist auch hier die Möglichkeit gegeben, dass es zu einer Depression kommt, weil diese Blutzuckerschwankungen natürlich auch nicht gut fürs Gemüt sind. Ich habe es, wenn ich sehr lange Zeit hohe Werte habe, auch damit zu tun, dass ich mich schlecht konzentrieren kann, dass ich schlechter denken kann und auch das trägt natürlich dazu bei, dass ich mich nicht wohlfühle. Wenn ich dann meine Fröhlichkeit verliere, dann ist es etwas, wo man sich wirklich dann auch rechtzeitig in eine psychiatrische Behandlung begeben sollte und auch Tabletten tolerieren muss. Noch dazu bedient eins das andere. Man ist bewegungsunlustiger mit einer Depression, man hat wenig Dynamik, dann nimmt man zu und das verschlechtert wieder den Blutzucker. Das ist so ein Teufelskreis, aus dem man möglichst rasch und schnell raus sollte.  

Mario D. Richardt: Wobei ich mir auch denken kann, dass es sehr schwierig ist eine Depression als diese dann auch zu diagnostizieren. Manche sagen: “Ach ich bin heute schlecht drauf, Stimmungsstörungen, ich bin halt ein bisschen niedergeschlagen, morgen geht es mir wieder besser.” Ich bin antriebslos, aber das wirklich als Depression zu erkennen, das ist die Schwierigkeit dabei, oder? 

Dr. Cornelia Woitek: Ja, da hilft manchmal das Umfeld, indem man einfach reflektiert, was sagt das Umfeld über mich, ja? “Du hast schon jetzt sechs Wochen lang nicht mehr richtig gelacht” und “Du bist antriebslos” und “Du kommst eigentlich morgens überhaupt nicht mehr aus dem Bett und eine Tagesstruktur fehlt Dir auch langsam” sind sind Beispiele. Die Antriebslosigkeit, die Interesselosigkeit und die Freudlosigkeit, das sind so die drei Begriffe, denen man sich selber auch mal ganz kritisch stellen sollte. Habe ich das eigentlich? Kann ich mich wenig motivieren? Kann ich wirklich jetzt eigentlich gar nicht mehr lachen und habe ich eigentlich an den Dingen, die mir früher Freude machen, überhaupt kein Interesse mehr? Und wenn das über sechs Wochen so ist, dann sollte man also sehr stutzig sein und das kann man auch mal mit dem Umfeld besprechen, ob die das vielleicht viel eher schon sehen als man selber.  

Mario D. Richardt: Frau Dr. Woitek, das war jetzt wirklich für mich so ein kleines Lexikon der sehr schweren und schlimmen Krankheiten, aber gleich am Anfang haben Sie ja schon gesagt, man hat ja im Prinzip das Zepter selbst in der Hand und Einfluss darauf nehmen kann, wie es einem ergeht mit der Erkrankung.  

Dr. Cornelia Woitek: So ist es. Also das ist das Schöne und deshalb wollen wir auch mit nicht dem Horrorszenario enden, sondern wir wollen einfach schauen, ob ich etwas für mich tun möchte als Patient mit einer chronischen Erkrankung und dann kann ich etwas tun.   

Mario D. Richardt: Ich danke Ihnen vielmals, Frau Dr. Woitek.  

Dr. Cornelia Woitek: Vielen Dank, es hat mir auch Freude gemacht und wir sind ja auch alle berufen und auch sehr, sehr begeistert, wenn wir Patienten erreichen, wenn wir Menschen erreichen, um Schlimmeres zu verhindern.