Jede:r Zweite von uns ist chronisch krank. Sprechen wir darüber. In insgesamt acht Podcastfolgen geht es um die Multiple Sklerose. Wir führen Sie durch jede Phase der Krankheit, damit Sie immer gut informiert sind. Heute in der dritten Episode zu diesem Thema geht es um die Diagnose. Willkommen beim Podcast Chronisch Mensch.

Dr. Kai Wohlfahrt Chefarzt Neurologie Halle

Dr. Kai Wohlfahrt

Chefarzt der Klinik für Neurologie am BG-Klinikum Bergmanntrost Halle

Transkript der Folge „Diagnose von Multipler Sklerose“

Mario D. Richardt: Da die Multiple Sklerose auch als Krankheit der 1.000 Gesichter beschrieben wird, ist es natürlich nicht so leicht, die Diagnose frühzeitig zu stellen. Doch wird die Diagnose zweifelsfrei festgestellt? Welche Untersuchungen sind dafür nötig? Darüber spreche ich nun mit Privatdozent Dr. Kai Wohlfarth. Er ist der Chefarzt der Klinik für Neurologie am BG Klinikum Bergmannstrost in Halle. Hallo Dr. Wohlfarth. 

Dr. Kai Wohlfarth: Hallo, Herr Richardt, schön, dass Sie wieder da sind. 

Mario D. Richardt: Gehört denn die Multiple Sklerose zu den Krankheiten, deren Diagnose am Anfang nur sehr schwer zu stellen ist? 

Dr. Kai Wohlfarth: Also da muss man unterscheiden, durch den Neurologen ist die Diagnose einfach zu stellen, durch andere Fachgebiete etwas schwieriger und da die Betroffenen ja zumeist erst zum Hausarzt gehen, dauert es so drei bis vier Jahre, vielleicht auch ein bisschen weniger, wenn der Hausarzt relativ gut informiert ist und an den Neurologen verweist, bis die Diagnose gestellt werden kann. 

Mario D. Richardt: Lässt es sich denn besser behandeln, wenn es deutlich eher erkannt wird? Ist die Prognose dann besser? 

Dr. Kai Wohlfarth: Wir Neurologen würden sagen ja, also je frühzeitiger wir natürlich die Diagnose stellen, desto eher können wir eine Behandlung einleiten. Ich habe aber ja in der vorherigen Folge des Podcasts schon gesagt, dass eine ursächliche Heilung oder eine ursächliche Therapie im Moment nicht möglich sind, jedoch eine verlaufsmodifizierte Therapie, sagen wir. Das heißt, wir könnten frühzeitig durch die Therapiepalette, die in den letzten Jahren erheblich angewachsen ist, eingreifen und die Progression der Erkrankung etwas vermindern. Das hat natürlich auch immer was mit Lebensqualität zu tun, die wir erhalten. 

Mario D. Richardt: Welche Symptome deuten denn eindeutig darauf hin, dass es sich hier um eine Multiple Sklerose handelt? Also wann, bei welchem Symptom muss man definitiv zum Neurologen? 

Dr. Kai Wohlfarth: Ja, das kann man so genau nicht sagen. Die Betroffenen sind jung, es sind junge Frauen, es gibt ein buntes Bild an Symptomen und Beschwerden, die die Betroffenen zum Arzt gehen lassen oder eben auch nicht. Manche warten auch einfach zu Hause ab. Die Symptome verschwinden ja nach einer gewissen Zeit wieder und der Hausarzt denkt nicht immer an eine Multiple Sklerose aber es imponieren natürlich vor allem im jüngeren Lebensalter eher monosymptomatische Beschwerden. Das heißt, wir haben einen Beschwerdekomplex zum Beispiel am Auge. Also das ist eine Sehstörung, Schmerzen oder Bewegungsstörungen am Auge, hinzu kommt dann manchmal noch leichte Sensibilitätsstörung, etwa Kribbeln. Im älteren Lebensalter imponieren dann eher die Sensibilitätsstörungen, also Taubheit und Kribbeln und zum Teil Lähmungserscheinungen. 

Mario D. Richardt: Aber grundsätzlich, wenn wirklich jetzt ein Problem mit dem Auge besteht, wäre das schon ein Symptom, wo Sie sagen würden, auf jeden Fall zu mir überweisen? Zum Neurologen? 

Dr. Kai Wohlfarth: Beim jüngeren, mit Symptomen im Bereich des Auges, einseitig ist es auf jeden Fall ein Grund zum Augenarzt zu mindestens oder zum Neurologen zu überweisen, um das dann abklären zu lassen. 

Mario D. Richardt: Wie läuft denn so die typische Diagnostik ab? Der Hausarzt hat festgestellt: „Oh, hier haut irgendwas nicht hin, ich schicke Sie mal zum Neurologen“. Dann sitzt die Patientin oder der Patient bei Ihnen und wie geht es dann weiter? 

Dr. Kai Wohlfarth: Dann sitzen die bei uns, beim Neurologen und der Neurologe hat eine Herangehensweise auf verschiedenen Ebenen. Das muss man sagen, also der Neurologe hat natürlich erstmal den Auftrag eine Anamnese zu erstellen, also die Krankheitsgeschenke zu erheben. Das ist erstmal die Grundlage überhaupt. Das bringt schon mal 70, 80 Prozent der späteren Diagnose allein, eine gut erhobene Anamnese. Dazu gehört die Familienanamnese. Es gibt ja auch Häufungen in Familien. Es gibt sozusagen MS-Familien und wir wissen zum Beispiel, dass Kinder von MS-Betroffenen ein deutlich erhöhtes Risiko haben, zehn- bis 20-fach erhöht, eine MS zu entwickeln und vor allem sind es natürlich Töchter. Wir haben hier ja den Schwerpunkt beim weiblichen Geschlecht. Nach einer guten Anamneseerhebung folgt dann der neurologische Befund. Also wir erheben dann immer erst mal einen neurologischen körperlichen Befund, gucken uns dann auch die Körperbereiche an, wo die Beschwerden auftreten und würden dann eine apparative Zusatzdiagnostik durchführen. Also ganz wesentlich für die Diagnosestellung ist natürlich die bildgebende Diagnostik mit der Kernspintomografie. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten, die durchzuführen. Dabei es kommt drauf an, wo wir die Symptome lokalisieren. Meistens führen wir eine Kernspintomografie des Gehirns und des Rückenmarkes durch, um dann insgesamt zu schauen, wie die Entzündungslast, die Läsionslast möglicherweise ist. Zu einer Diagnostik gehört für uns Neurologen natürlich die Lumbalpunktion, die mag unangenehm sein, aber ist ein wesentlicher Bestandteil. 

Mario D. Richardt: Das ist die Untersuchung des Nervenwassers? 

Dr. Kai Wohlfarth: Das ist die Untersuchung des Nervenwassers. 

Mario D. Richardt: Hat man schon oft gehört, aber wie läuft diese ab? Also MRT kennen bestimmt mit Sicherheit viele, auch von anderen Verletzungen zum Beispiel. Wie läuft so eine Lumbalpunktion ab? 

Dr. Kai Wohlfarth: Ja, das Beste ist natürlich mit dem Betroffenen reden. Also man muss erst mal gut erklären, was man dann tut, weil man würde ja das Nervenwasser aus dem Lendenwirbelsäulenbereich entnehmen. Also man agiert im Rücken des Patienten, des Betroffenen, was ja immer erstmal so ein Unsicherheitsgefühl schafft. Also man sollte das gut besprechen vorher, gut erklären und dann ist die Lumbalpunktion eigentlich eine Routineuntersuchung für uns. Also es kann auch nicht dazu kommen, dass wir Schäden im Bereich des Rückenmarkes setzen, weil das Rückenmark viel weiter oben schon endet. Also wo wir dann mit der Lumbalpunktion das Nervenwasser nehmen, gibt es in der Regel gar kein Rückenmark mehr, sondern wir entnehmen nur das Nervenwasser. Das ist eine Untersuchung, wie gesagt, die für uns Neurologen Routine ist, die wir auch bei vielen anderen Erkrankungen durchführen und die vielleicht so 10 bis 20 Minuten dauert, in der Summe und aber ganz erheblich zum Ergebnis beiträgt. 

Mario D. Richardt: Wenn Sie sagen, da ist das Rückenmark schon vorbei, wie muss man sich das vorstellen? An welcher Stelle ist das denn, in Höhe der Lendenwirbelsäule, oder? 

Dr. Kai Wohlfarth: Im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule würden wir das Nervenwasser entnehmen und das Rückenmark endet am Übergang Brustwirbelsäule, Lendenwirbelsäule ganz oben. Also da unten ist gar kein Rückenmark mehr, glücklicherweise. 

Mario D. Richardt: Was können Sie denn an diesem entnommenen Nervenwasser erkennen? 

Dr. Kai Wohlfarth: Also es gibt so ein paar Proteine, die wir dort bestimmen, zum Beispiel finden wir einen Abdruck es Immunsystems, des Nervensystems an sich. Also wenn das Nervensystem immunologisch aktiv wird, finden wir zum Beispiel oligoklonale Banden, so heißen die, die wir dort nachweisen können. Das unterscheidet sich zur Laborentnahme des Blutes und da wird man dann immer vergleichen, wie ist das Labor, wenn man Blut entnimmt und wie die Ergebnisse sind, wenn man das Nervenwasser entnimmt. Man vergleicht das und kann sagen, ob da das Nervensystem aktiv geworden ist, sodass es dann eher dafürspricht. Es ist auch wieder, nur ein Bestandteil der Diagnose, festzustellen, ob es zu dieser Verdachtsdiagnose Multiple Sklerose eher passt oder mit dieser Arbeitshypothese, die wir ja aufstellen. Und dann fügen wir Mosaikstein für Mosaikstein zusammen. Und die Lumbalpunktion ist eines, die Anamnese, die körperliche Untersuchung und die Kernspintomografie, sind andere wesentliche Mosaiksteine. Dann können wir natürlich noch weitere neurophysiologische Untersuchungen des Nervensystems ergänzen. 

Mario D. Richardt: Darauf kommen wir gleich zu sprechen. Ich springe noch mal kurz zurück zum MRT. Sie sprachen von Läsionen. Wie muss man sich das vorstellen? Gibt es da Verschattungen, gibt es da helle Stellen dann beim MRT im Kopf? 

Dr. Kai Wohlfarth: Ja, es gibt helle und dunkle Stellen je nachdem, mit welcher Frequenz man sucht und zu welchem Zeitpunkt der Erkrankung. Wir haben ja eingangs in der ersten Folge des Podcasts schon mal gesagt, es ist eine chronisch entzündliche ZNS-Erkrankung. Da kommt das Wort entzündlich vor. Also wir haben dort Entzündungen im Bereich des Nervensystems, meist im Bereich der Ummantelung der Nerven, die man im MRT sehen kann. Man kann im MRT gut unterscheiden, ob es eine aktive Entzündung gerade. Man reichert dann zum Beispiel Kontrastmittel an. Ist es eine Entzündung, die schon länger zurückliegt, findet man eine Art Narbe, die eher dunkel sich darstellt. Aus diesen Bildern kann man die Diagnose erhärten. Also man kann, wie gesagt, die anderen Angaben und kann sagen ja, es findet sich, im Nervensystem finden sich solche typischen Läsionen an typischer Stelle, meist unter der weißen Substanz, da wo die Nervenbahnen verlaufen, dann zusammen mit den anderen Angaben, die man hat, sagen, ob es mit Sicherheit eine Multiple Sklerose ist. 

Mario D. Richardt: Wie viel Information bekommen Sie schon aus dem Blutbild? 

Dr. Kai Wohlfarth: Aus dem Blutbild bekommt man keine wesentlichen Informationen, sondern das Blutbild dient letztendlich nur zum Vergleich mit dem Nervenwasser oder der Sicherung anderer Diagnosen, der sogenannten Differenzialdiagnosen, die wir hier haben. Wir haben in der Diagnostik natürlich noch weitere Bausteine, die wir Neurologen nutzen und dazu gehört die Neurophysiologie. Das heißt wir können verschiedene Nervenbahnen in ihrer Funktion untersuchen, je nachdem welche Bereiche, welche Strukturen des Nervensystems betroffen sind. Da häufig die Augen betroffen sind, würden wir die Messung sogenannter visuell evozierten Potentiale durchführen, also indem man einfach den Sehnerv versucht zu untersuchen. Ist im Bereich der Hörbahn was betroffen, dann würde man akustisch evozierten Potentiale messen. Also da kann man die Hörbahnen punktuell untersuchen und sagen, wo ist dort möglicherweise die Läsion? Ist das sensible System betroffen, heißt das somatosensibel evozierte Potentiale, womit wir dann in der Peripherie und im Bereich des zentralen Nervensystems die Funktion der Gefühlsbahn untersuchen. Und das geht für die motorischen Nervenbahnen genauso. Das passiert meist mit der transkraniellen Magnetstimulation, wobei man also über den motorischen Kortex magnetisch einen Impuls setzt und eine Muskelkontraktion dann als Ergebnis einer Peripherie sieht. Das ist schmerzarm oder schmerzlos und man kann sozusagen die motorische Bahn damit beurteilen und einzelne Läsionen zuordnen zu den verschiedenen Strukturen im Nervensystem. Zusammen mit den anderen jetzt schon genannten Bausteinen kann man die Multiple Sklerose dann entsprechend sichern und auch dann strukturell Zuordnungen treffen. 

Mario D. Richardt: Diese gesamte Diagnostik läuft über den Neurologen, dann oder wenn Sie sagen, es geht auch um die Untersuchung des Sehnervs, wird da auch noch mal ein Augenarzt hinzugezogen? 

Dr. Kai Wohlfarth: Also, das kann der Neurologe tatsächlich alleine machen. Die Diagnostik wird ja dann üblicherweise stationär durchgeführt, im Rahmen eines kurzstationären Aufenthaltes, die Lumbalpunktion, die Kernspintomografie, die Laboruntersuchungen, die Neurophysiologie und die Erwägung anderer Diagnose. Also man hat ja eine Arbeitshypothese, die man am Ende bestätigen möchte oder auch nicht und natürlich muss man dann gegebenenfalls andere Untersuchungen noch ergänzen, wenn Differenzialdiagnosen wahrscheinlicher erscheinen als die Multiple Sklerose an sich. 

Mario D. Richardt: Wie lang zieht sich denn so eine Diagnostik hin, wenn die Patientinnen jetzt zu Ihnen kommen? Sie sagen es ist ein kurzer stationärer Aufenthalt. 

Dr. Kai Wohlfarth: Die Diagnostik auf der Station dauert, wenn sie gut geplant ist, zwei bis drei Tage, in denen man im Prinzip alle Untersuchungen durchführen kann. Man hat vielleicht noch nicht alle Ergebnisse, aber man kann dann natürlich die wesentlichen Ergebnisse, die man dann schon hat, Kernspintomografie, Lumbalpunktion, Neurophysiologie, Untersuchung und Anamnese, das hat man ja sofort vorliegen, mit dem Betroffenen besprechen. Manche Laborwerte brauchen etwas länger, da muss man dann noch mal im Nachhinein in einem ambulanten Termin eine Abschlussbesprechung durchführen. Man muss natürlich sagen, die Diagnostik zieht natürlich etwas nach sich. Also wenn man die Diagnose Multiple Sklerose stellt, ist das für den Betroffenen natürlich ein schwerer Schlag, ein Schicksalsschlag, eine schwere Diagnose, die auch besprochen werden sollte in einem ruhigen Umfeld. Also das ist natürlich die Aufgabe des Arztes das umfassend zu erklären, Ängste auch zu nehmen und natürlich therapeutische Optionen aufzuweisen. Da gibt es reichlich Möglichkeiten verlaufsmodulierend, modifizierend einzugreifen und auch Ängste zu nehmen. 

Mario D. Richardt: Wie bringen Sie das denn jungen Patientinnen oder Patienten bei, die tatsächlich von Ihnen diese schlimme Diagnose bekommen: „Sie haben MS.“ 

Dr. Kai Wohlfarth: Das ist ein schweres Gespräch. Ich versuche dann immer ein ruhiges Umfeld zu schaffen und versuche sachlich erst mal heranzugehen. Das natürlich mit entsprechendem Mitgefühl, was wir Ärzte ja haben sollten, also emphatisch sollten wir schon sein. Ich versuche das natürlich dann in einem Gespräch zu erklären und wie gesagt, versuche Ängste zu nehmen. Also gerade junge Frauen, die betroffen sind, fragen dann natürlich weiter, wie es mit Schwangerschaften aussieht, wie es mit den Kindern aussieht. Wie groß ist das Risiko dort, was mit meinem Partner zu bedenken? Es gibt eben auch Sexualfunktionsstörungen und da gibt es Möglichkeiten und das muss man natürlich dann in einem ruhigen Rahmen und mit entsprechender Zeit, die man sich nehmen sollte, erklären, weil hier haben wir ein Krankheitsbild, was ein chronisch progredientes Krankheitsbild ist, mindestens chronisch. Da sollte man sich, glaube ich, sehr viel Zeit nehmen. 

Mario D. Richardt: Aus Ihrer Erfahrung heraus, aus Ihren Erlebnissen, ist es häufiger, dass Patientinnen und Patienten gleich wissen, womit sie es bei der MS zu tun haben oder ist es eher häufiger, dass sie wirklich aus allen Wolken fallen und quasi erst mal googeln müssten, was ist das überhaupt? 

Dr. Kai Wohlfarth: Ja, viele Patienten googeln natürlich schon während des stationären Aufenthaltes. Die ahnen das schon, da haben viele von Multiple Sklerose gehört und ahnen natürlich schon, dass hier eine entsprechende Diagnostik in diese Richtung verläuft und suchen natürlich das Internet. Das ist eine Idee, nicht immer die Beste. 

Mario D. Richardt: Wollte ich grad sagen, gut oder schlecht. 

Dr. Kai Wohlfarth: Ja, es kann auch schlecht sein, weil dann auch viele Ängste entstehen, die sicherlich nicht in jedem Falle berechtigt sind. Deswegen ist der Arzt als erster Ansprechpartner natürlich das Primat. Und das Zweite ist, die deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft, die als große Selbsthilfeorganisation auftritt und sehr seriöse Informationen auf der Homepage bietet. Es gibt Selbsthilfegruppen auch für jüngere Betroffene. Ich selbst gehöre zum Landesverband der deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft hier im Land Sachsen-Anhalt und sitze als stellvertretender Vorsitzender auch im Vorstand und versuche natürlich dann auch dort Betroffenen in Selbsthilfegruppen oder auch übergeordnet Angehörigen Informationen zu geben. 

Mario D. Richardt: Es fühlt sich quasi auch niemand alleingelassen. 

Dr. Kai Wohlfarth: Eigentlich ist niemand alleingelassen, man muss dann nur die Hilfe suchen und annehmen. Ich glaube, das ist immer ganz schwierig und im Internet, das wissen wir, geht sehr viel vonstatten und es ist auch nicht immer alles richtig und wahr, was dort veröffentlicht wird. Deswegen sollte man seriöse Seiten aufsuchen oder sich wirklich beraten lassen von seinem Neurologen. 

Mario D. Richardt: Gibt es denn Patientinnen oder Patienten, die zu Ihnen kommen, zum Erstgespräch und Sie wissen auf den ersten Blick, das ist MS? 

Dr. Kai Wohlfarth: Persönlich gefragt, würde ich sagen ja, man hat ein Bauchgefühl. Also wenn man lange genug im Beruf ist als Neurologe und hat dann jemand vor sich sitzen und fragt ab, hat man dann schon das Gefühl ja, es läuft in diese Richtung. Aber ich habe auch, gerade auch in letzter Zeit, wieder junge Frauen gehabt, die mit diesen Ängsten gekommen sind, wo man sagt ja, es könnte in die Richtung MS laufen und dann haben wir alle Untersuchungen durchgeführt und es war es tatsächlich nicht. Das ist auch eine Ausschlussdiagnose, wo man sagt ja, wir haben jetzt nach bestem Wissen und Gewissen alles gemacht und es relativierte sich dann auch tatsächlich die Beschwerdeschilderung, sodass man zum jetzigen Zeitpunkt sagen kann nein, es ist keine Multiple Sklerose. Also das, das Bauchgefühl kann auch trügerisch sein, aber man sollte schon als Neurologe eine Erfahrung mitbringen und in die richtige Richtung steuern. 

Mario D. Richardt: Dann würde ich gleich auf diese Antwort aufbauen wollen, wie häufig kommt es vor, dass Menschen zu Ihnen geschickt werden mit der Verdachtsdiagnose MS und es ist es dann zum Glück nicht? 

Dr. Kai Wohlfarth: Wenn Sie bei mir mal landen in der Klinik ist es in den meisten Fällen schon so, dass sich das Bauchgefühl erhärtet. Da sage ich ja, das können wir so bestätigen, es ist eine Multiple Sklerose. Wir bieten jetzt verschiedene Optionen der Behandlung unter Betreuung an, es ist eher selten, dass dann zum Schluss, grad bei jüngeren Frauen, eine andere Diagnose oder eben keine Erkrankung im Ergebnis herauskommt. 

Mario D. Richardt: Wie geht es dann nach der gestellten Diagnose direkt danach weiter? Sie haben es schon angesprochen, es gibt die Möglichkeit der Selbsthilfegruppen. 

Dr. Kai Wohlfarth: Ja, das ist eine ganz wichtige Möglichkeit. Das Wesentliche ist ja nach der Diagnosestellung sollte eine Therapie erfolgen. Der Betroffene muss aufgeklärt werden. Also erst mal über die Diagnose, mit viel Zeit, dann muss er die Therapieoption kennen, er muss die Optionen, die auch die Symptome bekämpfen, kennen. Es gibt ja eine symptomorientierte Therapie. Auch die sollte er kennen und dann bräuchte der Betroffene natürlich im günstigsten Falle einen ambulanten Neurologen, der sich mit dem Krankheitsbild gut auskennt und ihn weiterführt, weil wir im Krankenhaus können ja im Prinzip diese ambulante Weiterversorgung nicht in jedem Falle sicherstellen. Die Selbsthilfegruppen dienen als gute Ergänzung, weil dort gibt es einen ärztlichen Beirat. Das sind Experten im Bereich der Multiplen Sklerose. Man kann relativ rasch Zugang finden zu Forschungsergebnissen, das halte ich für sehr wichtig, dass man dies nutzt im weiteren Verlauf, im Sinne eines sogenannten Nachsorgekonzeptes. Das ist ein Bestandteil der Nachsorge. Außerdem bedarf es natürlich der Eigenaktivität und des eigenen Interesses. Also man kann sich ja zurückziehen und sagen schicksalshaft, aber das führt ja nicht zu einer Besserung und es ist auch kein Grund den Kopf in den Sand zu stecken. Man hat viele Therapieoptionen. Man sollte sich mit Betroffenen zusammensetzen und Erfahrungen austauschen. Und man ist immer mit einem Ohr an der Wissenschaft dran und erfährt relativ frühzeitig vielleicht auch neue Optionen, die zur Verfügung stehen oder vielleicht auch Studien, die gerade laufen, wo MS-Betroffene eingeschlossen werden können, um neue Therapieverfahren zu sichern. 

Mario D. Richardt: Und um die Therapie geht es in der kommenden Folge. Ihnen erst mal ein großes Dankeschön, Dr. Wohlfarth. 

Dr. Kai Wohlfarth: Vielen Dank, Herr Richardt.